„Der kluge Kunde vergibt jetzt einen Auftrag an einen Handwerksbetrieb“

In den letzten Wochen kämpft mehr als jeder zweite Handwerksbetrieb im Gebiet der Handwerkskammer Ulm mit Auftragsstornierungen (55 Prozent). 77 Prozent sprechen von Umsatzrückgängen. Joachim Krimmer, Präsident der Handwerkskammer Ulm, erinnert: „Wir kommen aus einer Zeit, noch im Februar, in der es lange Wartezeiten auf einen Handwerker gab und wir werden auch wieder dahin zurückkommen. Der kluge Kunde vergibt jetzt seinen Auftrag und nutzt die Corona-bedingte Atempause.“ Und er ergänzt: „Wir appellieren insbesondere an die öffentliche Hand, bereits erteilte Aufträge nicht zu stornieren oder zu verschieben. Die Schulen, Kitas und Universitäten sind leer. Dort kann gearbeitet werden.“ Manche Mitgliedsbetriebe der Handwerkskammer hatten zuletzt den Eindruck, Kommunen hielten Aufträge fürs Handwerk derzeit zurück, um pauschal zu sparen. Für das Handwerk ist Stillstand und Ausbremsen aber das Schlimmste. Krimmer: „Gerade die öffentliche Hand muss jetzt das wirtschaftliche und damit das gesellschaftliche Leben durch Aufträge schützen und so weit wie möglich in Gang halten.“ Die Handwerkskammer verweist auch auf die Beschäftigungssicherung, die damit verbunden ist. Alle Gesundheitsschutz- und Hygienemaßnahmen können von den arbeitenden Betrieben beim Kunden eingehalten werden. 

In den Handwerkskammern werden die Anträge auf finanzielle Soforthilfen von Land und Bund an Soloselbstständige und Handwerksbetriebe bis 50 Mitarbeiter geprüft und der L-Bank zur Auszahlung empfohlen. Ebenso wurde eine wesentliche Forderung der Kammern erfüllt, mittelständische Betriebe mit verbürgten Schnellkrediten zu stützen. „Das sind zweifelsfrei wichtige Unterstützungsleistungen der Politik für die Handwerksbetriebe in den Landkreisen. Aber die beste Soforthilfe sind Aufträge aus öffentlicher und aus privater Hand. Das wirtschaftliche Leben muss weiter gelebt und bald möglich wieder kontrolliert belebt werden“, so Dr. Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm. Aus mancher Kommune werde der Kammer Zahlungsverzögerung gemeldet. „Das kann schon gar nicht sein: Vertrag ist Vertrag und der gehört auch nach Leistungserbringung erfüllt“, betont Mehlich.

Oberste Priorität hat auch für die Handwerksbetriebe zwischen Ostalb und Bodensee die Eindämmung des Corona-Virus. Das Handwerk trägt die Linie der Regierung zum Schutz der Bevölkerung und zur Bekämpfung des Virus mit. Aber die wirtschaftliche Freiheit der Betriebe ist dadurch deutlich eingeschränkt. Laut Mehlich zahlten viele Betriebe dafür schon heute einen hohen Preis, beispielsweise über Betriebsschließungen, zusätzliche Hygienemaßnahmen, komplizierte Arbeitsabläufe, Kurzarbeit. Auch die Frage, wie lange das noch so weitergehen solle, würde an die Handwerkskammer immer mehr und intensiver herangetragen. „Es ist wichtig Leben und unser Gesundheitssystem vor dem unbekannten Virus zu schützen, aber es ist auch legitim, sich rechtzeitig zu überlegen, wie es weitergeht und darauf vorzubereiten, wie und wo das Leben und Arbeiten wieder normalisiert werden kann. Sonst richten die Schutzmaßnahmen mehr und längeren Schaden an als die eigentliche Virus-Ursache. Und mit dieser Vorbereitung müssen wir jetzt beginnen, sonst gefährden wir manchen unserer Betriebe und die Belegschaften“, sagt Mehlich.  „Wir werden über Ostern an unserer wachsenden Haarpracht spüren, wie uns Handwerk prägt und wir es brauchen. Ohne funktionierendes Handwerk sehen wir und die Welt anders aus.“ Insbesondere auch in den Kleinbetrieben des Handwerks, die jetzt zum Teil schließen mussten, könnte man kontrolliert wieder hochfahren und trotzdem die Gesundheitsstandards gewährleisten.

Die Handwerkskammer arbeitet laut Mehlich derzeit in ihren eigenen Bildungshäusern daran, die Rückkehr zum Bildungsleben in der beruflichen Bildung vorzubereiten. Hier sind Prüfungen für die Gesellenausbildung oder auch nach einem Meisterstudium vorzubereiten und zu koordinieren. Aber auch Zertifikatskurse werden nachgefragt und überbetriebliche Ausbildung. Die Handwerkskammer verweist darauf, dass der Lock Down das Bildungs- und Prüfungsleben von rund 2.500 Ehrenamtlichen komplett lahmgelegt hat. In jeder Woche fallen im Schnitt rund 18.500 Teilnehmerstunden in den Bildungszentren der Handwerkskammer in Ulm, am WBZU am Eselsberg oder auch in Friedrichshafen weg. Es handle sich dabei um junge Erwachsene, die besondere Abläufe aus Gesundheitsgründen nachvollziehen und beachten könnten. Zudem fände die berufliche Bildung überwiegend in Werkstätten in kleinen Kursen statt, so dass Abstand halten kein Problem darstellen würde.  „Wir wären in der Lage, kontrolliert und behutsam das Bildungsgeschäft wieder anfahren zu lassen unter Wahrung ausgedehnter Schutz- und Hygienemaßnahmen. Unsere Betriebe brauchen die Fachkräfte, wir können diese Bildung nicht ewig verschieben“, so Mehlich.

Bei den finanziellen Soforthilfen für die kleinen und mittelständischen Betriebe läuft bei der Handwerkskammer nun das Bundesprogramm ergänzend zum bereits bestehenden Landesprogramm an. Das Bundesprogramm ersetzt für Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigten und für Betriebe zwischen sechs und zehn Beschäftigten das bisherige Landesprogramm. Dieses gilt weiter für Betriebe ab elf bis 50 Beschäftigte. Derzeit sind bei der Handwerkskammer Ulm rund 5.400 Anträge eingegangen, davon bereits 4751 bearbeitet und knapp 3.000 zur Auszahlung an die L-Bank empfohlen. Das entspricht einer genehmigten Fördersumme fürs regionale Handwerk von 30 Mio. Euro. Die Handwerkskammer arbeitet mit einem eigens zusammen gestellten Team mit rund 45 Mitarbeitern und garantiert damit bei der Vielzahl von Anträgen derzeit eine Bearbeitungszeit von max. 4 Tagen. Ansprechpartner für Fragen zur Antragsstellung ist weiterhin die Handwerkskammer mit ihrer Beratungs-Hotline von Montag bis Samstag von 7 Uhr bis 19.30 Uhr unter 0731-1425-6900. Zudem gibt es Schnellkredite von Bund und Land für die Unternehmer mit mehr als 50 Mitarbeitern. „Auch diese größeren Handwerksbetriebe dürfen wir nicht vergessen in unserem Krisenmodus. Sie sind der stabile Mittelstand für unsere Wirtschaftskraft in Deutschland. Sie sind wichtige Arbeitgeber in der Fläche. Wir brauchen sie leistungsfähig, um nach der Krise wieder in Schwung zu kommen“, so Mehlich weiter. Im Gebiet der Handwerkskammer Ulm gibt es 19.424 Handwerksbetriebe, die Arbeitgeber für mehr als 120.000 Beschäftigte und 8.000 Auszubildende sind. 2.772 Handwerksbetriebe davon sind im Bodenseekreis angesiedelt, 4.164 im Landkreis Ravensburg, 2.692 im Landkreis Biberach, 2.815 im Alb-Donau-Kreis, 1.310 in der Stadt Ulm, 1.549 im Landkreis Heidenheim und 4.122 im Ostalbkreis. Die Insolvenzquote der vielfach grundsätzlich gesunden Handwerksbetriebe, die sich nun um die Soforthilfe bemühen müssen, betrug vor der Corona-Krise gerade einmal 0,27 Prozent. 

Über Handwerkskammer Ulm

Handwerkskammer Ulm ist Dienstleister und Ansprechpartner für rund 19.500 Handwerksbetriebe mit mehr als 120.000 Beschäftigten und rund 8.000 Auszubildenden in den Landkreisen Ostalb, Heidenheim, Alb-Donau, Biberach, Ravensburg, Bodensee und den Stadtkreis Ulm. Die Mitgliedsbetriebe zwischen Jagst und Bodensee generierten in 2019 einen Umsatz von über 15 Milliarden Euro. Zentrale Aufgabe der Handwerkskammer Ulm ist es, die Interessen der regionalen Handwerksbetriebe auf allen Ebenen der Politik und in der Öffentlichkeit zu vertreten. Zu den Aufgabenschwerpunkten gehören neben Ausbildung, Prüfungswesen und Führen der Handwerksrolle auch berufliche Bildungsangebote, Nachwuchswerbung, vielfältige Beratungsleistungen für Betriebsinhaber wie u.a. Personalberatung und Angebote für Existenzgründer oder rund um die Unternehmensnachfolge (ZEN) und jetzt die umfassende Begleitung der Betriebe durch alle Fragen der Corona-Krise.

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