Fremde Fehltritte lassen Menschen oft erschaudern

Fremdschämen – auch „cringe“ genannt – beschreibt ein Zusammenzucken bei fremden Entgleisungen und Peinlichkeiten. Gelegenheiten lauern reichlich, bewusste sowie unbewusste: Aus nichtigem Grund wird in unserem Beisein eine Person „zusammengefaltet“. Selbstgefällig lobt der Kollege seine Präsentation. Beim noblen Geschäftsessen fotografiert die Mitarbeiterin stehend ihren Hauptgang. Verpatzte Witze, schiefe Gesangseinlagen und Videokonferenzen mit „Showeinlagen“ … „Mein Gott, wie peinlich“, geht es uns durch den Kopf. Bildlich kann Fremdscham inzwischen auch durch das Emoji „Facepalm“, die Hand vor dem Gesicht, dargestellt werden.
 
Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura sieht hinter dem Phänomen „fremdschämen“ einen Einfühlungsprozess, in dem eine Person A sich an Stelle einer anderen Person B schämt. Person B ist sich der schämenswerten Situation nicht bewusst, Person A aber durchaus. Aus dieser peinlichen Berührtheit für die Situation, in der Person B sich unwissend befindet, schämt sich Person A also stellvertretend für diese.
 
Fremde Peinlichkeiten könnten uns doch eigentlich schnuppe sein. Sind sie jedoch nicht. Prof. Sören Krach von der Uni Lübeck: „Wer sich 100-prozentig in die andere Person hineinversetzt, dürfte sich gar nicht fremdschämen. Schließlich weiß die Person ja nicht, dass ihr Spinat zwischen den Zähnen klebt oder ihre Hose offen ist.“ Die Gefühle der Beobachtenden passen nicht zu denen der Verursachenden. Statt die Emotionen zu spiegeln, beziehen die Umstehenden ihr Privatwissen und ihre persönlichen Wertvorstellungen mit ein. Sie stellen sich vor, wie sich der andere fühlen würde, wenn er von dem Versehen wüsste.
 
Die Lust an fremden Geschmacklosigkeiten
Diverse Internetseiten und Fernsehserien haben die Lust an fremden Peinlichkeiten als Quotengarant entdeckt und auch Populisten agieren gern mit gezielten Normverstößen. Fehlerhaftes Benehmen von Angehörigen und Freunden berührt uns sehr. Peinliche Prominente rufen eher Spott und Schadenfreude hervor. Wir denken zum Beispiel an Donald Trump und Gianni Infantino. Hier fehlen die beiden Zutaten Empathie und Identifikation, denn die sind für Cringe essenziell.
 
»Durch Fremdscham positioniert man sich als moralisch empfindsames Mitglied der Gesellschaft«, erklärt der Soziologe Patrick Wöhrle von der Technischen Universität Dresden: »Man erschauert zwar ob des Fehlverhaltens anderer. Dabei merkt man aber, dass die eigene moralische Grammatik funktioniert.«
 
Bedeutungswandel – fürs Fremdschämen gibt es Trends
Heutzutage ist Fremdscham allerdings der bevorzugte Mechanismus, Verfehlungen anderer anzuklagen und sie bloßzustellen, sagen Forscher*innen.
„Der natürliche Schamreflex ist das Verbergen. In der Fremdscham wird das Beschämende offensiv ausgestellt“, meint Christian Schneider (Praxis für psychologische Coaching, Frankfurt). Früher forderte man andere auf, sich zu schämen. Mittlerweile ist es in, sich gleich selbst für XYZ zu schämen.
 
Die stellvertretende Scham ist eine modifizierte Art des Mitleids, auch wenn dabei ein Überlegenheitsgefühl mitschwingt. Diese Überlegenheit erlaubt es uns (anscheinend), andere zu beschämen, falls deren Verhalten von der eigenen Anschauung abweicht. Also nehmen wir ihnen die Arbeit gleich ab und zeigen stellvertretend Gefühle.
 
Prof. Léon Wurmser, der 2020 verstorbene wichtigste psychoanalytische Schamtheoretiker, sah bei den strafenden Handlungen des Beschämens zwei Schritte: erstens wird die Person „an den Pranger“ gestellt, zweitens bewirkt dies, „die erniedrigte Person zu ignorieren, ihr zu zeigen, dass sie nicht dazugehört.“
 
Eine Art moralisches Barometer
Wir können eventuell darüber hinwegsehen, wenn unser Partner zuhause albern Luftgitarre spielt, in der Öffentlichkeit empfinden wir die Sache dann anders. Ganz generell könnte unser eigener Ruf durch eine „Normverletzung“ beschädigt werden. Cringe kann auch einiges über uns selbst aussagen. Unsere anklagende Reaktion bei einer deplatzierten Handlung ist vielleicht gar nicht das Problem, sondern die eigene moralische Beschaffenheit.
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