Alle Menschen ans Straßennetz anschließen ist teuer, aber nicht unbedingt für das Klima

Den Zugang zur Verkehrsinfrastruktur zu gewährleisten ist eines der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung. Das könnte erreicht werden, indem man alle Menschen ans Straßennetz anschließen würde. Was die ökonomischen Kosten und was die Auswirkungen auf das Klima wären, hat nun ein Forschungsteam unter der Leitung des Potsdam-Instituts beziffert, indem es verschiedene Datensätze zusammengeführt hat. Das Ergebnis: Ein solcher Straßenausbau würde zwar die Staatshaushalte der einzelnen Länder stark belasten, nicht so sehr aber das globale CO2-Emissionsbudget. Um fast die gesamte Weltbevölkerung anzuschließen, müsste das globale Straßennetz um nur 8 Prozent erweitert werden – was insgesamt einen CO2-Ausstoß von etwa 1,5 Prozent der Gesamtmenge dessen verursacht, was wir unter Einhaltung des 2-Grad-Ziels noch ausstoßen dürfen.

Das Team des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) stellt fest, dass derzeit etwa 14 Prozent der Weltbevölkerung weiter als 2 km von der nächsten Straße entfernt leben. „In der Studie berechnen wir, wie viele Straßenkilometer in jedem Land gebaut werden müssten, um mehr Menschen Zugang zu ermöglichen; wie viel der Bau kosten würde; und schließlich, wie viele CO2-Emissionen aus dem Bau und dem dadurch gesteigerten Verkehr resultieren würden", erklärt Leonie Wenz, Hauptautorin der Studie und Vize-Leiterin des Forschungsbereiches Komplexitätsforschung am PIK. Die Anbindung von 97,5 Prozent der Bevölkerung in jedem Land würde etwa 4 Millionen zusätzliche Straßenkilometer erfordern. Am größten sind die Zugangslücken in Subsahara-Afrika und Südostasien. In Angola und in Indonesien beispielsweise hat es derzeit mehr als die Hälfte der Bevölkerung mehr als 2 km bis zur nächsten Straße.

Die Studie ergibt, dass die Kosten für den Bau dieser Straßen insbesondere im Vergleich zur nationalen Wirtschaftsleistung der einzelnen Länder erheblich sind: 3.000 Milliarden US-Dollar wären erforderlich, um fast der gesamten Weltbevölkerung Zugang zu verschaffen. „Ähnlich wie in der Logistik ist die letzte Meile, die zurückgelegt werden muss – oder besser gesagt, der letzte Haushalt, der angeschlossen werden muss -, am teuersten", erläutert Jan Steckel, Leiter der Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung am MCC. „Zum Vergleich: Für den Anschluss von 90 Prozent der Bevölkerung in jedem Land wären nur etwa 700 Millionen US-Dollar erforderlich. Das Ziel von 97,5 Prozent würde für einige Länder Kosten von mehr als der Hälfte ihrer aktuellen Wirtschaftsleistung eines Jahres bedeuten – insbesondere in Afrika und im Nahen Osten, wo sowohl der Bedarf als auch die Kosten am höchsten sind.“

Neue Straßen sind nur mäßig klimaschädlich

Besser sind die Aussichten, was die Klimawirkung des Baus und des Verkehrs auf den neuen Straßen angeht: Bis zum Jahr 2100 werden die daraus resultierenden Emissionen rund 16 Gigatonnen CO2 betragen, so haben die Forscher berechnet. Dabei nehmen sie an, dass alle Straßen bis 2030 fertiggestellt und mit den heutigen CO2-intensiven Verfahren gebaut und befahren werden. Das gesamte CO2-Budget – also die Menge des Treibhaugases Kohlendioxid, welche die Menschheit noch ausstoßen kann, wenn sie die globale Erwärmung unter 2 Grad halten will – beträgt etwas mehr als 1.000 Gigatonnen. Der Anteil, der für den Straßenbau und den zusätzlichen Verkehr anfallen würde, betrüge also etwa 1,5 Prozent dieses Budgets. „Die Anbindung der überwiegenden Mehrheit der Menschen an das Straßennetz, was als ein Motor für Wohlstand gilt, würde unseren Ausstoß von Treibhausgasen demnach nicht drastisch erhöhen", erklärt Leonie Wenz. „Aus dieser Perspektive stehen hier wirtschaftliche Entwicklungsziele und Klimaschutz nicht im Gegensatz zueinander."

Es könnte allerdings noch andere Quellen für CO2-Emissionen und weitere ökologische und gesellschaftliche Probleme im Zusammenhang mit dem Straßenbau geben. Jan Steckel von MCC erklärt: „Straßen, die unberührte Natur durchqueren, können Entwaldung und eine Zerstückelung dieser Gebiete nach sich ziehen, und damit zum Verlust von Kohlenstoffsenken und der biologischen Vielfalt führen, oder auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Das stünde im Gegensatz zu manchen anderen der Ziele für nachhaltige Entwicklung." Um mögliche negative Rückkopplungen mit anderen UN-Nachhaltigkeitszielen zu vermeiden, schlagen die Autoren vor, Straßenbauprojekte strategisch zu planen und den Schwerpunkt weg von der reinen Verfügbarkeit von Straßen und hin zu Fahr- und Reisezeiten, etwa zum nächstgelegenen Markt, zu verlagern.

„Mit unserem geografisch sehr detaillierten Datensatz hoffen wir, einen nützlichen Ausgangspunkt für weitere Analysen zu liefern", so Wenz. „Sowohl für die konkrete Situation einzelner Länder als auch für die Erfüllung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung innerhalb  unserer planetaren Grenzen."

Artikel: Leonie Wenz, Ulf Weddige, Michael Jakob, Jan Christoph Steckel (2020): Road to glory or highway to hell? Global road access and climate change mitigation. Environmental Research Letters [DOI 10.1088/1748-9326/ab858d]

Link zum Artikel nach Veröffentlichung: https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/ab858d 

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