Falsche Fährte: Wie Papillomviren das Immunsystem austricksen

Spezifische Antikörper schützen uns vor einer viralen Infektion – oder etwa nicht? Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) untersuchten die Immunantwort von Mäusen auf Papillomviren und fanden dabei einen bislang unbekannten Mechanismus mit dem die Erreger das Immunsystem überlisten: Zu Beginn des Infektionszyklus produzieren sie eine längere Version eines Virushüllproteins. Der Körper bildet Antikörper dagegen – die im Kampf gegen die ursprüngliche Struktur des Erregers allerdings unwirksam sind.

Das menschliche Immunsystem hat vielfältige Abwehrstrategien zur Verfügung um gegen Erreger vorzugehen. Dies geschieht u.a. durch die Bildung von Antikörpern die Viren und Bakterien bekämpfen. Doch die Erreger haben im Laufe der Zeit raffinierte Methoden entwickelt um dem Immunsystem zu entkommen.

Wissenschaftlern sind bereits mehrere solcher Strategien bekannt. Diese beziehen sich bei humanen Papillomviren (HPV) bisher aber nur auf die sogenannte „angeborene“, also bereits vorhandene Immunität und nicht auf die erworbene Immunität, die sich erst nach dem Eindringen des Erregers ausbildet. Frank Rösl und seine Mitarbeiter vom DKFZ haben nun unter der Federführung von Daniel Hasche einen neuen Mechanismus entdeckt, mit dem so genannte kutane, also Haut-spezifische Papillomviren das Immunsystem in die Irre führen.

Bestimmte kutane HPVs, wie etwa HPV5 oder HPV8, kommen als natürliche Infektionen auf der Haut vor. Diese Infektionen erfolgen nicht auf sexuellem Wege, sondern werden während  der Geburt durch die Mutter auf das Neugeborene übertragen. So sind Familienmitglieder meist mit denselben HPV Typen besiedelt. Normalerweise bleibt eine Infektion unbemerkt, da der Körper die Erreger erfolgreich bekämpfen kann. Bestimmte kutanen HPV Typen können jedoch, abhängig von dem individuellen Status des Immunsystems, der genetischen Vorbelastung, dem Alter und anderen externen Faktoren wie z.B. UV-Strahlung ihre Wirtszellen zur Teilung anregen. Dies führt zu Hautveränderungen und in seltenen Fällen zur Entwicklung eines Plattenepithelkarzinoms, auch bekannt als weißer Hautkrebs.

Die Experimente wurden an einer bestimmten Mausart (Mastomys coucha) durchgeführt, die sich, wie auch der Mensch, bereits kurz nach der Geburt mit kutanen Papillomviren infiziert und spezifische Antikörper gegen das Virus bildet. In Kombination mit UV-Strahlung entwickeln infizierte Tiere verstärkt weißen Hautkrebs.

Das Immunsystem der Tiere bildet Antikörper gegen die beiden viralen Proteine L1 und L2, aus denen sich die Virushülle zusammensetzt. Diese Antikörper können den Eintritt der Viren in die Wirtszelle verhindern und das Virus so neutralisieren. Die Versuche zeigten jedoch, dass die Viren neben den üblichen Proteinen eine längere Variante des L1 Proteins produzieren. Diese ist nicht in der Lage sich tatsächlich am Aufbau der viralen Hülle zu beteiligen. Stattdessen dient sie als eine Art Köder gegen den sich das Immunsystem richtet und spezifische Antikörper bildet.

Die Wissenschaftler konnten allerdings zeigen, dass diese Antikörper nicht in der Lage sind das Papillomvirus erfolgreich zu bekämpfen. Statt den infektiösen Erreger durch eine Bindung an L1 zu neutralisieren, binden sie lediglich das nicht-funktionelle Köderprotein. Während das Immunsystem damit beschäftigt ist, diese „nutzlosen“ Antikörper zu produzieren, kann sich das ursprüngliche Virus weiter vervielfältigen und im Körper ausbreiten. Erst nach einigen weiteren Monaten entstehen neutralisierende Antikörper, die gegen die normale Variante des L1 Proteins und damit gegen die eigentlich infektiösen Viren gerichtet sind.

„Ob Nager oder Mensch – bei fast allen HPV Typen die Krebs auslösen können, ist das L1 Gen so gestaltet, das auch eine längere Variante des Proteins gebildet werden könnte. Dies gilt auch für Hochrisiko-HPV-Typen, wie HPV16 oder HPV18, die Gebärmutterhalskrebs verursachen können. Es scheint sich daher um einen verbreiteten Mechanismus zu handeln, der es den Viren erlaubt sich in der frühen Infektionsphase effizient zu vermehren und auszubreiten“, erläutert Daniel Hasche. „Dass Antikörper gegen Papillomviren nachweisbar sind, muss also nicht zwangsläufig mit einem Schutz vor einer Infektion einhergehen. Dies wird man zukünftig bei der Auswertung und Interpretation epidemiologischer Studien beachten müssen“, gibt Frank Rösl zu bedenken.

Diese Studie wurde unterstützt von der Wilhelm Sander-Stiftung (2018.093.1 und 2010.019.1), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF, 031L0095B) sowie dem China Scholarship Council (CSC).

Yingying Fu, Rui Cao, Miriam Schäfer, Sonja Stephan, Ilona-Braspenning-Wesch, Laura Schmitt, Ralf Bischoff, Martin Müller, Kai Schäfer, Sabrina E. Vinzón, Frank Rösl and Daniel Hasche: Expression of different L1 isoforms of Mastomys natalensis papillomavirus as mechanism to circumvent adaptive immunity. eLife 2020, https://doi.org/…

Über Deutsches Krebsforschungszentrum

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.

Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.

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