Gedenkstätte und Opferverband erinnern an die Einrichtung des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen vor 78 Jahren

Heute Vormittag haben in der Gedenkstätte Sachsenhausen rund 100 Menschen, unter ihnen drei ehemals Inhaftierte sowie zahlreiche Angehörige ehemaliger Häftlinge, mit einer Gedenkveranstaltung und einer Kranzniederlegung an die Einrichtung des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen vor 78 Jahren erinnert. In den Baracken des ehemaligen KZ Sachsenhausen inhaftierte die sowjetische Besatzungsmacht zwischen 1945 und 1950 rund 60.000 Menschen, von denen 12.000 aufgrund von Hunger und Krankheiten starben. Bereits am gestrigen Samstag war die neue digitale Lernanwendung „Das sowjetische Netz der Repression in Brandenburg“ vorgestellt worden, die nach einer Evaluationsphase im nächsten Jahr in das Bildungsangebot der Gedenkstätte aufgenommen wird.

Die stellvertretenden Gedenkstättenleiterin Astrid Ley sage in Ihrer Ansprache: „Die Haftbedingungen in dem völlig überfüllten Lager waren unmenschlich. Die Gefangenen schliefen dichtgedrängt auf blanken Holzpritschen in meist ungeheizten Baracken. Ungeziefer aller Art, vor allem Wanzen, plagten sie. Die sanitären Verhältnisse waren katastrophal, zudem fehlte es an Nahrung, Medikamenten, Kleidung. Die Folge war ein Massensterben, das 1947 seinen Höhepunkt erreichte. Fast 12.000 Häftlinge haben das Speziallager Sachsenhausen nicht überlebt, sie starben an Hunger und Krankheiten. Die Opfer wurden in Massengräbern verscharrt, ihre Angehörigen erfuhren oft erst nach Jahren quälender Ungewissheit von deren Tod. Ihr trauriges Schicksal und auch das Leid der vielen, die das Speziallager überlebten, sollen nicht vergessen sein.“

Joachim Krüger, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 e.V., sagte mit Blick auf die neue digitale Lernanwendung: „Wir möchten, dass auch junge Menschen an die unmenschlichen Ereignisse und das sinnlose Sterben nach 1945 in den Speziallagern des NKWD erinnert werden. Deshalb war die gemeinsame Veranstaltung gestern, um mit neuen Medien und einer modernen Didaktik wirksamen Zugang zu Schüler- und Jugendgruppen zu finden, für uns sehr wichtig und aufschlussreich. Zugleich ist es Ziel unserer Arbeitsgemeinschaft, die Zusammenarbeit mit den Engagierten der anderen Speziallager noch weiter zu vertiefen und effektiver zu gestalten, damit das Erinnern Zukunft hat.“

Alexander Latotzky, der 1948 im Speziallager Bautzen zu Welt kam und kurz nach seiner Geburt mit seiner Mutter in das Speziallager in Sachsenhausen verlegt wurde, sagte: „Für die Lagerbürokratie existierten wir Kinder nicht. Besonders in den ersten Jahren mussten sich die Mütter ihre eigene, geringe Essensration mit dem Kind teilen. Die Mütter kauten das harte Brot vor, um es dem Kind dann mit Speichel verdünnt zuzuführen. Sie stellten aus den Textilien der Verstorbenen Windeln und Hemden her und strickten mit Fahrradspeichen aus der Wolle der Zuckersäcke Pullover und Stoffschuhe. Die erbärmlichen Hungerrationen, fehlende Windeln, Kleidung und Pflegemittel führten dazu, dass nahezu alle Kinder an Mangelerscheinungen litten. Die katastrophalen Verhältnisse boten auch immer wieder Nährboden für Infektionskrankheiten. So waren viele Kinder mit Tuberkulose infiziert, erkrankten an Typhus oder Diphtherie.“ Latotzky sagte weiter: „Es ist wichtig, an begangenes Unrecht zu erinnern, wollen wir neues Unrecht verhindern. Ohne Hass und Verbitterung, aber mahnend. Denn mit dieser Erinnerung ist doch auch eine Mahnung verbunden. Seien wir wachsam und furchtlos und stehen wir zu unserer Demokratie, mit all ihren Fehlern und Schwächen. Lassen wir nicht zu, dass Antidemokraten wieder an die Macht kommen und mörderische Diktaturen als Fliegenschiss der Geschichte verharmlost werden.“

Tobias Dünow, Kultur- und Wissenschaftsstaatssekretär: „Welches Grauen sich hinter den Mauern des Speziallagers Sachsenhausen zugetragen hat, lässt sich heute nur noch erahnen – anhand von Berichten, von heimlich gemachten Skizzen, von Zeichnungen. Wir erinnern heute daran – vor Ort oder aus der Ferne –, was passiert, wenn ein brutales Regime Protest und Widerstand im Keim erstickt und Menschen Gerichtsverfahren, gerechte Urteile und menschenwürdige Haftbedingungen verweigert. Ich danke der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 – 1950, dass sie an die Einrichtung des Lagers erinnern und der Opfer gedenken. Der Gedenktag verdeutlicht einmal mehr, dass unsere freie und offene Gesellschaft auf der Wahrung der Menschenwürde und der Umsetzung der Menschenrechte basiert.“

Hintergrund

Im Zuge der Verlegung des sowjetischen Speziallagers Nr. 7 von Weesow (bei Werneuchen) kamen am Abend des 16. August 1945 mehr als 5.000 von der Haft geschwächte Häftlinge nach einem Fußmarsch von rund 40 Kilometern in den Baracken des ehemaligen KZ Sachsenhausen an. Der Jahrestag der Ankunft der ersten Inhaftierten in Sachsenhausen wird von den ehemaligen Häftlingen und ihren Angehörigen seit Anfang der 1990er Jahre als Gedenktag für die Opfer des Speziallagers begangen.

Die sowjetische Besatzungsmacht errichtete in ihrer Zone zehn Speziallager, die sowohl Instrumente der Entnazifizierung als auch der stalinistischen Herrschaftssicherung waren. In den Speziallagern Weesow und Sachsenhausen waren bis zur Auflösung des Lagers im Frühjahr 1950 rund 60.000 Menschen inhaftiert, von denen 12.000 an Hunger und Krankheiten starben. Im Lager waren vorwiegend untere Funktionäre des NS-Regimes, aber auch Mitarbeiter aus Verwaltung, Polizei, Justiz und Wirtschaft sowie SS-Personal aus den Konzentrationslagern inhaftiert. Unter den Häftlingen befanden sich außerdem politisch Missliebige und willkürlich Verhaftete sowie von sowjetischen Militärtribunalen Verurteilte – Männer und Frauen, Alte und Junge, NS-Belastete und Unbelastete.

Information: www.sachsenhausen-sbg.de

Das Projekt „Das sowjetische Netz der Repression in Brandenburg. Drei Orte – eine Biografie“ wird über die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Bundesprogramm „Jugend erinnert“ gefördert.

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