Die Verkehrswende braucht eine bessere Schiene

Nach dem pandemiebedingten Einbruch erholen sich die Verkehrsmärkte deutlich und setzen den Wachstumskurs fort – treffen jedoch auf eine rückläufige und im Zustand nachlassende Infrastruktur. Angesichts der sich weiter verschärfenden Situation im Schienenverkehr in Deutschland appelliert der Netzbeirat, dass sich alle relevanten Akteure für zeitnahe, nachhaltige und messbare Verbesserungen einsetzen.

Wachsende Verkehrsmärkte treffen auf rückläufiges Kapazitätsangebot der Infrastruktur
Mit großer Sorge beobachtet der Netzbeirat das zunehmende Auseinanderfallen von Nachfrage und Angebot an Schieneninfrastrukturkapazitäten. Die „Bahnreform“ bedeutete für den Personennah- und Güterverkehr einen Startpunkt z.T. erheblichen Wachstums, das in den letzten Jahren erzielt werden konnte. Bis zum Beginn der Corona-Krise konnten jeweils etwa 80% mehr gefahrene Verkehrsleistungen registriert werden. Andererseits wird zeitgleich das Angebot an Kapazität bis in die jüngste Vergangenheit abgebaut. Die Gleislänge wurde seit 1994 um 20% reduziert. Die besonders kapazitäts- und flexibilitätsrelevante Anzahl von Weichen und Kreuzungen wurde mehr als halbiert, die Anzahl der Gleisanschlüsse entspricht heute weniger als einem Fünftel im Vergleich zum Beginn der Marktöffnung 1994.

Substanzverzehr beenden – Zustand des Bestandsnetzes muss deutlich verbessert werden
Wie ein mit dem Netzbeirat abgestimmtes Kennzahlensystem zeigt, konnte die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV I – III) die Alterung der Schienenwege nicht stoppen. Diese Entwicklung führte zu einer Verschlechterung des Netzzustandes in einigen kritischen Gewerken (z.B. Brücken, Gleise, Weichen) bei gleichzeitig steigenden Bau- und Störgeschehen. So überrascht es nicht, dass die Qualitätskennzahlen – u.a. Pünktlichkeit – im Jahr 2022 historische Tiefstwerte aufweisen. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Umfang der Investitionen ins Bestandnetz hinzuweisen. Er erreichte 2020 zwar ca. 5,4 Mrd. EUR. Diese Summe ist jedoch nicht zuletzt mit Blick auf die jüngsten Kostensteigerungen zu gering – so stieg laut Infrastrukturzustandsbericht der Nachholbedarf aller Anlagen-Cluster allein der DB Netz AG auf inzwischen über 51 Mrd. EUR an. Diese erforderliche Aufholbewegung bedeutet auch weiterhin viele Baustellen, deren Organisation angesichts der bereits bestehenden Kapazitätsengpässe gegenüber heute geändert werden muss.

Konzertiertes Vorgehen und neues Bewirtschaftungsmodell notwendig
Es besteht dringender Handlungsbedarf, das Bewirtschaftungsmodell der Infrastruktur dahingehend zu überarbeiten, dass der Trend umgekehrt wird und sich die Zustandsnoten der Infrastruktur deutlich verbessern. Der Netzbeirat begrüßt dabei ausdrücklich, dass DB Netz entlang eines mit der Branche abzustimmenden Portfolios an Hochleistungskorridoren diese konzertiert bis 2030 in den Zielzustand bringen will. Dabei wird dem Vorschlag des Netzbeirat gefolgt, eine umfassende Zustandsbewertung mit Blick auf Substanz und Verfügbarkeit nach Schweizer Vorbild für alle Gewerke einzuführen. Dieses Vorgehen muss angesichts der hohen betrieblichen Eingriffe bis hin zu Vollsperrungen eng mit der Verkehrsbranche abgestimmt werden. Dieser Schulterschluss wird gelingen, wenn durch dieses Vorgehen sich die bisherige Entwicklung umkehrt und nachweislich der Zielzustand in Bezug auf Verfügbarkeit und Substanz erreicht wird. Diese „bessere Schiene“ ist die Voraussetzung dafür, dass die Verkehrswende gelingen kann.

Zum Hintergrund: Das ist der Netzbeirat:
Der Netzbeirat berät die DB Netz AG bei allen Fragen der Entwicklung, des Ausbaus und des Erhalts des Schienennetzes. Das Gremium setzt sich aus Vertretern oder Beauftragten von Eisenbahnverkehrsunternehmen und der für den Nahverkehr zuständigen Organisationen der Bundesländer zusammen. Damit möglichst viele Unternehmen und Organisationen aus allen Regionen Deutschlands die Möglichkeit erhalten, sich im Netzbeirat zu engagieren, wählt das Eisenbahn-Bundesamt die Mitglieder für jeweils drei Jahre aus.

Der Beirat ist Repräsentant der Netznutzer und vertritt deren Belange. Aufgrund seiner Unabhängigkeit äußert er sich auch öffentlich und findet im Eisenbahnsektor Gehör. So führt das Gremium Gespräche mit dem Parlament, der Bundesregierung und der Europäischen Kommission und dient einem institutionalisierten Trilog zwischen dem Betreiber der Schienenwege, den Nutzern und der Eisenbahnaufsichtsbehörde.

Die DB Netz AG informiert den Beirat über alle von ihm aufgegriffenen Infrastrukturentwicklungsthemen und bezieht ihn in ihre strategischen Planungen ein. Im Netzbeirat werden daher nicht nur Fragen in Bezug auf die Größe, die Kapazität und die Standards des Netzes, Planungen von Neu- und Ausbaumaßnahmen sowie Ersatzinvestitionen diskutiert. Der Beirat befasst sich auch mit aktuellen Fragen wie der Förderung eines lärmärmeren Güterverkehrs, der Finanzierung des Erhalts des Bestandsnetzes und der Ermittlung von infrastrukturellen Engpässen. Er erarbeitet Empfehlungen, die der Vorstand des Betreibers der Schienenwege zum Gegenstand seiner Beratungen macht. Außerdem gibt er Stellungnahmen zu den Geschäftsplänen der Betreiberin der Schienenwege ab, welche ihre Investitions- und Finanzierungsplanungen enthalten.

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