Allerdings sprechen die Daten, die wahrscheinlich zu dieser Kehrtwende beigetragen hätten, gar nicht für eine nachhaltige Veränderung der Inflation. „Dies zeigt einmal mehr, dass die Leitlinien der EZB nicht wirklich zuverlässig sind, und eine exakte Vorhersage ihrer Verhaltensweise nicht möglich ist“, so Grüner.
Energiepreise als Haupttreiber
Mit Sicherheit basiere die Meinungsänderung der EZB auf den unerwartet hohen Inflationszahlen. „Die Gesamtinflation in der Eurozone stieg im Januar von 5,0 Prozent auf 5,1 Prozent im Jahresvergleich an und übertraf damit den erwarteten Konsens. In einem internationalen Umfeld hoher Inflationsraten wächst zudem der Druck, dem Beispiel anderer Zentralbanken zu folgen und Maßnahmen zu ergreifen“, stellt Grüner fest. Allerdings solle im Hinblick auf die europäischen Daten ein wichtiger Punkt nicht vernachlässigt werden: „Die Energiepreise erhöhten sich um 28,6 Prozent im Jahresvergleich und stellten somit weiterhin den Haupttreiber der Inflation dar. Die Kerninflation, welche Nahrungsmittel, Energie, Alkohol und Tabak ausschließt, verlangsamte sich im Januar auf 2,3 Prozent im Jahresvergleich und lag damit unter dem Dezember-Wert von 2,6 Prozent“, erläutert Grüner.
Seltsamerweise habe die EZB zwar die wirtschaftlichen Auswirkungen der schnell steigenden Energiepreise anerkannt und auch ihre mangelnde Handlungsfähigkeit diesbezüglich zum Ausdruck gebracht, aber die Divergenz zwischen Kern- und Gesamtinflationsraten dennoch nicht erwähnt, als sie ihre "einhellige Besorgnis" über die steigenden Preise zum Ausdruck brachte. Vermutlich versuche die EZB einfach, sich politisch auszudrücken. Ebenso könne sie ihre Meinung auch schnell wieder ändern. Bereits am Montag habe Lagarde die Inflation wieder heruntergespielt und sagte: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Inflation mittelfristig dauerhaft und deutlich über unserem Zielwert liegen wird, was eine messbare Straffung erfordern würde“. Was ist von den jüngsten Äußerungen der EZB also zu halten? „Das können wir nicht sagen – und auch sonst niemand“, kommentiert Grüner.
Was zählt für Anleger?
Diese Episode zeige einmal mehr, warum die Geldpolitik nicht vorhersehbar sei und die Prognosen der Zentralbanken nicht eindeutig sind. „Ihre Prognosen ‒ und auch ihre Maßnahmen ‒ ändern sich oft mit der öffentlichen Meinung. Anleger sollten sie also nicht als Navigationshilfe für den zukünftigen Verlauf der Märkte, sondern als Orientierungspunkte ohne Prognosencharakter interpretieren. Außerdem haben Zinserhöhungen keinen Einfluss auf die aktuellen Preistreiber. Sie werden das Energieangebot nicht erhöhen, den russischen Präsidenten nicht besänftigen und auch keine Probleme in der Lieferkette beheben“, analysiert Grüner.
Fazit
Zinserhöhungen werden grundsätzlich als Gefahr für die Märkte wahrgenommen, und zu gegebener Zeit werde auch die EZB dem Beispiel anderer Zentralbanken folgen. „Entscheidend für die Märkte ist allerdings weiterhin eine intakte Kreditvergabe der Banken und der gesamte Geld- und Kreditfluss. Lassen Sie sich also nicht zu sehr davon ablenken, was die EZB sagt oder nicht sagt“, resümiert Grüner.
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