Lassen sich Vorsorgeentscheidungen steuern?

Speziell konstruierte Entscheidungsstrukturen, von Experten als „Nudging“ bezeichnet, eignen sich, um innere Widerstände, die einer ausreichenden finanziellen Absicherung im Alter entgegenstehen, zu überwinden. Ein solches Gestaltungsmittel birgt allerdings zugleich eine Gefahr für eine selbstbestimmte Gesellschaft, weil politische Entscheidungsträger damit ihre Agenden unterschwellig und unter Umständen ohne entsprechende demokratische Legitimierung durchsetzen können. Nudging berührt daher zugleich grundlegende gesellschaftliche Fragen, wenn es als Mittel der Verhaltensänderung eingesetzt wird. In diesem Spannungsbogen bewegen sich die Ergebnisse der jüngsten Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (Titel: „Mit einem Stupser zum Sparen – Nudging in der Alterssicherung: Potenzial, Legitimierung und Wirkmechanismen“).

Mentale Faustregeln behindern Altersvorsorge

Die Studie wägt auf der Grundlage von Best Practices aus anderen Anwendungsfeldern jenseits der Alterssicherung und Erfahrungen in anderen Ländern ab, inwieweit Nudging geeignet und legitim ist, um in Deutschland die ergänzend zur Pflichtversicherung freiwillig betriebene Altersvorsorge auszubauen. „Den homo oeconomicus, der rational seinen Nutzen maximiert, gibt es auch nicht bei den individuellen Entscheidungen zur Absicherung der finanziellen Lage im Alter. Stattdessen wirken etliche mentale Faustregeln und systematische Denk- und Urteilsfehler vernünftigen Entscheidungen zur Vorsorge für das Alter entgegen“, erklärt Studienautorin Nora Stampfl. Als Beispiel führt sie das sogenannte Status-quo-Bias an. Es beschreibt die Eigenart des Menschen, langfristige Kosten und Nutzen zu schwach zu gewichten. In der Folge hält er am gegenwärtigen Zustand fest und wehrt Veränderungen ab. Auf die Altersvorsorge übertragen bedeutet dies: der gegenwärtige Konsum nimmt eine viel größere Rolle im Entscheidungsverhalten ein als die Bildung von Rücklagen fürs Alter, die zwangsläufig erst einmal einen gewissen Konsumverzicht bedeuten würden.

Als ein Beispiel für Nudging in der Altersvorsorge, mit dem ein solches Beharrungsvermögen überwunden werden kann, erläutert die Studie den „Save-More-Tomorrow-Ansatz“, der im spanischen Ahorra+ Programm in der Praxis erfolgreich erprobt worden ist. Dieses Konzept hilft, eine Reihe von Verhaltensanomalien des Menschen „auszutricksen“. So fällt es den meisten leichter, die Entscheidung zu treffen, dass sie erst in Zukunft mehr sparen und nicht sofort. Daher bekannten sich die Teilnehmer an diesem Programm dazu, einen Teil künftiger Gehaltserhöhungen für die Erhöhung ihrer Sparrate einzusetzen. Damit hebelt dieses Konzept zugleich die Verlustaversion aus, da keine Gehaltseinbuße spürbar wird, weil der Sparbeitrag ein Teil der künftigen Gehaltssteigerung ist.

„Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, um mit Nudges in der Altersvorsorge das Verhalten zu beeinflussen“, erklärt Nora Stampfl. „Aber nicht jede Art von Nudge ist gleichermaßen gut geeignet, um das gewünschte Ziel zu erreichen.“ In der Studie werden daher zehn Nudges beschrieben und auf ihre Wirksamkeit in der Altersvorsorge überprüft. Als besonders effektiver Nudge gelten nach diesen Untersuchungen Default-Regeln. Sie machen sich die Tatsache zunutze, dass Menschen dazu neigen, im gegenwärtigen Zustand zu verharren. So lange keine aktive Entscheidung gefordert wird, bleiben sie in der gegebenen Voreinstellung. Schlussfolgerung: In vielen Fällen wird eine automatische Erhöhung von Sparquoten im Zeitablauf oder eine Teilnahme an Vorsorgeprogrammen durch automatisches Einschreiben zu einem besseren Vorsorgeresultat führen, weil ein aktiver Widerspruch oftmals als zu aufwändig erlebt und unterlassen wird.

Andere Formen von Nudges, die in der Studie betrachtet werden: Erinnerungen (wenn Prokrastination, Vergesslichkeit oder Zeitmangel zur Untätigkeit führen, können Erinnerungen zum erforderlichen Handeln anregen); Ausnutzung sozialer Normen (die Sorge um die Reputation ist ein bedeutender Impuls zu Anpassungsverhalten) oder Strategien der Selbstbindung (anderen bekanntgegebene Ziele erscheinen verbindlicher).

Entscheidungsarchitektur bei Minijobs nur bedingt erfolgreich

Zu den Anwendungsfällen, die in Deutschland schon wirksam sind, rechnet die Studie die Rentenversicherung bei Minijobs. So sind Minijobber nicht verpflichtet, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Sie können dies jedoch tun. Vor 2013 mussten geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer das explizit beantragen. Ab Januar 2013 wurde die bisherige Rentenversicherungsfreiheit in eine Versicherungspflicht mit Befreiungsmöglichkeit umgewandelt. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, dass nicht jeder Nudge gleichermaßen gut funktioniert. 2020 ließen sich mehr als 80 Prozent der geringfügig Beschäftigten von der Versicherungspflicht befreien. „Offenkundig wirkt der Nudge hier nicht wie intendiert. Die kurzfristigen Abzüge werden höher gewichtet als die langfristigen Verbesserungen in der Versorgung“, erläutert die Studienautorin.

Die Studie weist zudem daraufhin, dass Nudging auch zur Gratwanderung werden kann. So sei zu unterscheiden zwischen Nudges, die es dem Einzelnen erlauben, selbsterkannte Unzulänglichkeiten zu beheben, und jenen, die auf eine Art und Weise lenken, ohne dass dies dem Einzelnen bewusst wird.

Nudging steht derzeit auf der politischen Agenda

„Wie aktuell das Thema Nudging gerade ist, zeigen die Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung. Dabei steht auch eine neue staatlich organisierte Altersvorsorgelösung mit Abwahlmöglichkeit auf der Agenda, die über eine Default-Setzung eine größere Breite erreichen will“, fügt DIA-Sprecher Klaus Morgenstern hinzu. „Bei der Prüfung dieses Vorschlages sollte die Regierung sehr genau darauf achten, welche Anforderungen transparentes Nudging erfüllen muss.“

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