Recht haben und Recht bekommen ist zweierlei

Was zählt die Wahrheit, was die Gesundheit von Menschen, wenn die Interessen des Kapitals dagegenstehen? Henrik Ibsens Schauspiel „Ein Volksfeind“ aus dem Jahre 1882 schildert parabelhaft, was unsere Welt wirklich im Innersten zusammenhält oder spaltet – je nach Blickwinkel.  Anhand der Geschichte um ein Kurbad,  das wegen verseuchten Wassers zur Gesundheitsgefahr wird, was aber aus ökonomischen Gründen um jeden Preis unter den Teppich gekehrt werden soll, beschreibt er den Sumpf in der Gesellschaft, in dem alle wichtigen Repräsentanten  gemeinsam stecken. Nur einer, der Arzt Dr. Tomas Stockmann (Oliver Firit), will die Vorgänge aufdecken – ein Idealist und Hitzkopf, der im Kampf um das Recht auf jegliche Diplomatie verzichtet, den Sinn für das Machbare verliert und zum „Volksfeind“ erklärt wird. „Was hilft dir das Recht ohne die Macht?“, ist für Regisseur Axel Vornam eine zentrale Frage des Stücks. Er sieht den „Volksfeind“ als Lehrstück mit einer klugen ökonomischen, politischen und sozialen Analyse über die noch heute gültigen Mechanismen des Zusammenspiels von Politik, Wirtschaft und die vierte Macht, die Medien.  Nur wer die Regeln dieses Spiels beherrscht, kann gewinnen.

Zum Inhalt
Das Stück entführt in einen idyllischen Ort, in dem das soeben eröffnete Kurbad die neue Quelle des Wohlstands wird. Zahlreiche Gäste kommen, um ihre Beschwerden mit dem Heilwasser zu kurieren. Der Tourismus blüht auf, die Grundstückspreise steigen, die Arbeitslosigkeit sinkt  ̶  das stärkt zudem den Bürger- und Gemeinschaftssinn.

Doch Kurarzt Dr. Tomas Stockmann hat in jüngster Zeit gehäuft Fälle von Magen-Darm-Beschwerden und Hauterkrankungen zu behandeln. Heimlich lässt er das Heilwasser untersuchen und erhält durch das Gutachten schreckliche Gewissheit: Das Wasser ist vergiftet, gesundheitsgefährdend im höchsten Maße. Verursacht durch  Zuleitungen, die durch ein von Industrieabwässern verseuchtes Sumpfgebiet führen. Als Arzt muss Tomas Stockmann die Bürger über die Gesundheitsgefahr informieren. Durch die Verlegung der Wasserleitungen ließe sich das Problem beheben. Die örtliche Presse will ihn unterstützen und die Bevölkerung auf die Gefahren hinweisen. Und er informiert seinen Bruder Peter Stockmann (Stefan Eichberg), den Bürgermeister. Dr. Tomas Stockmann ist froh, der Stadt mit Veröffentlichung dieser Gefahren Gutes zu tun, und er glaubt, die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu haben.

Doch schon bald bläst ihm ein eisiger Wind ins Gesicht. Der Bürgermeister will um jeden Preis verhindern, dass jemand vom vergifteten Wasser erfährt. Eine Verlegung der Leitungen wäre sehr teuer, würde zwei Jahre dauern und die Stadt in ihrer Entwicklung zurückwerfen. Der Ruf des Bades wäre ruiniert und würde sich nicht so schnell wieder herstellen lassen. Mit allen Mitteln versucht  Peter Stockmann  seinen Bruder einzuschüchtern, damit er den Mund hält. Und auch die Medienvertreter haben kein Interesse mehr an der Veröffentlichung der Wahrheit, da ihre persönlichen und finanziellen Belange darunter leiden. Gemeinsam diskreditieren sie den Arzt, um ihn mundtot zu machen.  Der ehrenwerte und bis dahin hochgeschätzte Doktor erkennt, dass er nicht nur gegen den stinkenden Sumpf, der das Wasser vergiftet, vorgehen muss, sondern dass es auch gilt, den gesellschaftlichen Sumpf trockenzulegen. Er nimmt die Herausforderung an, allein gegen all jene, die ihn zum Volksfeind erklären.

Komplexe Figurenzeichnungen
Henrik Ibsens letztes Gesellschaftsdrama "Ein Volksfeind" ist brillant komponiert und zeichnet komplexe Charaktere. So ist der Arzt Tomas Stockmann nicht nur der Gute: Er ist ein Utopist und Freigeist, der seine Ideen aber auf so naive Weise durchsetzen will, dass es ihm nicht gelingt,  deren Unvereinbarkeit  mit der Wirklichkeit einzusehen. Der Bürgermeister Peter Stockmann ist eigentlich ein Realpolitiker, der in jedem Fall durch das verseuchte Wasser das Wohl seiner Stadt gefährdet sieht und nach dem kleinstmöglichen Übel sucht: Das heißt für ihn die Probleme totzuschweigen und  heimlich notdürftig zu beseitigen, damit der wirtschaftliche Schaden vom Gemeinwesen abgehalten wird. Dafür nimmt er die Gesundheitsgefährdung der Bürger als Kollateralschaden in Kauf.

Großbürgerliches Heim und Industrielandschaft
Die Bühne von Tom Musch entführt zunächst in das etwas überdimensionierten großbürgerlichen Salon des Kurarztes. Durch wenige Verwandlungen des gleichen Raumes wird aus dem luftigen Wohnzimmer ein Redaktionsbüro und weitere Handlungsorte des Stückes.  Der Niedergang der Familie Stockmann durch die offene Opposition gegen die Mächtigen findet seine Entsprechung im Bühnenbild. 

Zeitlose Brisanz
Henrik Ibsen (1828-1906) gehört nach Shakespeare zu den weltweit meistgespielten Autoren.  Schon zu Lebzeiten erlangte er Weltruhm. Aufgrund seiner schonungslosen Gesellschaftskritik legte er sich aber immer wieder mit den Mächtigen an und wurde dafür angefeindet und in der Presse verunglimpft. Insofern sah er Parallelen zwischen sich und seinem Helden, dem Badearzt Dr. Tomas Stockmann.  Was viele seiner Stücke auszeichnet, ist die zeitlose Brisanz. So sind jegliche Ähnlichkeiten mit auch heute regelmäßig bekannt werdenden Fällen wie im „Volksfeind“ alles andere als zufällig.

Premiere am 5. Mai 2018, 19.30 Uhr, Großes Haus
Ein Volksfeind
Schauspiel von Henrik Ibsen
Regie: Axel Vornam
Ausstattung: Tom Musch
Dramaturgie: Sophie Püschel

Mit:  Stefan Eichberg (Bürgermeister Peter Stockmann), Oliver Firit  (Dr. Tomas Stockmann), Gabriel Kemmether (Aslaksen), Frank Lienert-Mondanelli (Morten Kill), Judith Lilly Raab (Katerine, Frau von Dr. Tomas Stockmann), Hannes Rittig (Hovstad) Tamara Theisen (Petra, Tochter von Dr. Tomas Stockmann), Sven-Marcel Voss (Billing)

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