Windenergiebranche vor Rekordausbau und dennoch sorgen

Der deutsche Windmarkt steht in diesem Jahr vor einem Rekordausbau. Die Branchenorganisationen rechnen damit, dass bis zum Jahreswechsel einige Hundert neue Windturbinen mit zusammen mehr als 5 000 Megawatt Leistung neu ans Netz gehen. Das entspricht in etwa fünf Mal der Leistung des Kohlekraftwerks, das der Energiekonzern Uniper derzeit in Datteln fertig stellt.

Dieser erfreuliche Zubau ist aber nur die eine Seite der Medaille, die die Windbranche hierzulande beschäftigt. Auf der anderen Seite bereitet immer mehr Branchenexperten eine Entwicklung Sorgen, die sich am Horizont abzeichnet: Wenn im April 2020 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sein 20-jähriges Jubiläum feiert, fallen wenige Monate spä-ter einige tausende Windturbinen aus der EEG-Vergütung. Statt der fixen Einspeisepreise müssen die Windmüller ihren Strom über die Börse verkaufen. Bei den derzeit niedrigen Börsenstrompreisen rechnet sich der Weiterbetrieb aber wirtschaftlich nicht.

Eines des wichtigen Themen, denen sich der Branchentag Windenergie widmet, der am 28. und 29. Juni wieder in Düsseldorf stattfindet. Veranstaltet wird das Branchentreffen, das sich kurz vor der Sommerpause traditionsgemäß insbesondere technischen und finanziellen Fragestellungen rund um die Windindustrie beschäftigt, von der Unternehmens- und Kom-munikationsberatung Lorenz Kommunikation.

Das sich abzeichnende Szenario ist eigentlich keine Überraschung: Jeder Windmüller, der vor gut zwei Jahrzehnten seine Windmühlen in Betrieb genommen hat, wusste, dass er ei-nen garantierten Abnahmepreis für ziemlich genau 20 Jahre erhalten würde. Nur das Aus-maß der Windräder, die demnächst keine EEG-Vergütung mehr erhalten, wird erst seit kurzem bewusst wahrgenommen.

Am 31. Dezember 2020 fallen auf einen Schlag etwa 6 000 Windenergieanlagen, die es zusammen auf eine Leistung von rund 4 500 MW bringen, aus der EEG-Vergütung. Damit nicht genug: Bis 2026 werden davon jedes Jahr rund 1 600 Windräder betroffen sein. Damit könnte sich bis dahin die Gesamtleistung der Altanlagen ohne EEG-Vergütungsanspruch auf gut 11 000 MW summieren. Diese Zahlen ermittelte vor wenigen Wochen das Beratungs-unternehmen Deutsche WindGuard für den Ökostromanbieter Naturstrom und die Deut-sche Umwelthilfe in einem Gutachten.

Diesen Befund ordnet Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie, ein: „In den 2020er Jahren ist nach der letztjährigen EEG-Reform gleichzeitig der Neubau auf 2 900 Megawatt brutto limitiert worden, sodass sich unter dem Strich der wirkliche Zubau marginalisiert.“ Kommt es zu einem massenhaften Abbau und Abschaltung dieser Altanla-gen werde das, so Albers, negative Auswirkungen auf die Energiewende und das Erreichen der nationalen Klimaschutzziele haben.

Auch Jürgen Holzmüller, langjähriger Sachverständiger für Windenergieanlagen, hält das mögliche Aus für viele Altanlagen für „kontraproduktiv“: „Rein technisch gesehen können viele Windenergieanlagen sicherlich 30, sogar 40 Jahre laufen. Was auch wirtschaftlich Sinn macht, den diese steuerlich abgeschriebenen Anlagen produzieren die Kilowattstunde Windstrom weitaus preiswerter als gerade neu installierte Windturbinen.“

Umsonst ist dieser Windstrom aber dennoch nicht: „Für Service, Wartung, Betrieb oder möglicherweise Pachtzahlungen fallen je nach Standort und Verfügbarkeit der Anlagen Kosten zwischen drei und fünfeinhalb Cent je Kilowattstunde an“, weiß Windexperte Holz-müller. Bei den derzeitigen Spotmarktpreisen von 2,9 Cent/kWh im Jahresdurchschnitt 2016 würden die betroffenen Windmüller aber draufzahlen. Bleibt es bei diesem Strom-preisniveau befürchtet Holzmüller, „ dass viele Betreiber ihre Anlagen vom Netz nehmen und endgültig abbauen.“

Gefragt sind deshalb Konzepte, wie sich der Weiterbetrieb von vielen Anlagen sichern lässt. Um Kosten zu sparen, plädiert Sachverständiger Holzmüller zum einen, das bisherige Wartungskonzept zu überdenken: „Anstatt der turnusmäßigen halbjährlichen Wartung kann ich mir alternative betriebsstundenbasierte Wartungskonzepte vorstellen“. Konkret heißt das: „Um die Betriebsstunden zu reduzierten, sollten die Windmüller nur noch bei hohen Börsenstrompreisen produzieren und einspeisen, womit der Wartungsturnus an die Betriebsstundenzahl angepasst werden könnte.“ Für den Sachverständigen heißt das künftige Motto: Höhere Einnahmen bei optimierten Kosten.

Für den einfachsten Weg möglichst viele alte Anlagen zu retten, nämlich eine Anschlussregelung im EEG, sieht bei der Naturstrom AG Vorstand Oliver Hummel keine Chancen: „Eine voraussetzungslose Anschlussvergütung halte ich für unrealistisch“. Politische Unterstützung wünscht er sich dennoch: „Wir müssen die Kohleverstromung und die erheblichen fossilen Überkapazitäten schnell reduzieren. Damit würden nicht nur Kohlendioxid-Emissionen vermieden, sondern auch die Bedingungen für die weitere Erzeugung von günstigem, CO2-freiem Strom durch die alten Windräder verbessert. Auch eine zusätzliche CO2-Steuer könnte sinnvoll und nötig sein, meint Hummel. Nicht zuletzt steigende Strompreise könnten helfen, den Weiterbetrieb vieler alter Anlagen ohne EEG-Vergütung zu sichern.

Der Ökostromanbieter hat mittlerweile Überlegungen begonnen, wie sich der Windstrom der Altanlagen für neue Stromprodukte nutzen lässt. Genau darauf zielt auch ein Vorschlag von Robert Habeck ab. Der amtierende Energiewendeminister in Schleswig-Holstein drängt darauf, die Sektorenkopplung, sprich den Einsatz regenerativer Energien im Mobilitäts- und Wärmesektor, schnellstens voranzubringen: „Der in alten Windenergieanlagen produzierte Strom drängt sich dafür auf.“

Dafür zeigt Naturstrom-Manager Hummel durchaus Sympathien. Ihm kommt es darauf an, dass sich Politik und Windbranche in den kommenden Monaten verstärkt Gedanken um den Weiterbetrieb der Altanlagen machen: „Wir sollten die verbleibende Zeit nutzen, bis wirklich die ersten Windräder aus der EEG-Vergütung fallen.

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