Elektronen, Protonen und Neutronen sind Fermi-Teilchen, benannt nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi. Sie bilden die Materie der Welt um uns herum. Das quantenmechanische Verhalten der Fermi-Teilchen bestimmt maßgeblich die physikalischen und chemischen Eigenschaften der meisten Materialien. Um diese Eigenschaften ohne empirische Näherungen berechnen zu können, müssen die jeweiligen Beiträge aller Fermi-Teilchen innerhalb eines Materials addiert werden. Jedes dieser Teilchen kann sowohl positive als auch negative Beiträge zur Berechnung beitragen, wobei sich diese auch gegenseitig aufheben können.
Mit jedem Teilchen sind exponentiell mehr Kombinationen dieser „vorzeichenbehafteten“ Beiträge für eine genaue Berechnung erforderlich. Die von Tobias Dornheim vorgelegten Monte-Carlo-Berechnungen entsprechen dem aktuellen Stand der Forschung. Sie nähern sich dem genauen Ergebnis, indem sie zufällig die meisten, aber nicht alle Beiträge berücksichtigen (sog. Monte-Carlo-Sampling-Methode). Bislang können diese Berechnungen nur auf den weltweit leistungsstärksten Supercomputern und nur für wenige Fermi-Teilchen durchgeführt werden, da die Rechenzeit mit jedem weiteren Teilchen exponentiell ansteigt. Um das Fermionische Vorzeichenproblem zu lösen, ist eine Abkehr vom exponentiellen Anstieg der benötigten Rechenleistung dringend erforderlich.
Tobias Dornheim hat in der Vergangenheit bereits mehrfach bewiesen, dass er in der Lage ist, Quantenprobleme geschickt zu lösen. So war er beispielsweise Teil des Forscherteams, das mit dem John Dawson Award for Excellence in Plasma Physics Research 2021 der American Physical Society ausgezeichnet wurde. Der Preis wurde für die elegante Kombination verschiedener, sich ergänzender Simulationsmethoden verliehen, die das kollektive Verhalten von Vielelektronensystemen mit bislang unerreichter Genauigkeit vorhersagen.
Einführung moderner Methoden des maschinellen Lernens
Nach etlichen schrittweisen Verbesserungen plant Dornheim mit PREXTREME nun den großen Wurf. Sein Ansatz basiert auf sogenannten Pfadintegral-Monte-Carlo (PIMC)-Methoden und seine zentrale Idee ist eine entscheidende Verbesserung der PIMC-Simulationen von Fermionen. „Im Rahmen des bewilligten ERC-Projekts werde ich besonders gut geeignete PIMC-Methoden mit modernen ML-Algorithmen kombinieren“, erklärt Dornheim. „Das Resultat werden PIMC-Simulationen ohne den exponentiellen Anstieg von Rechenzeit sowie ohne Anwendung unkontrollierter Näherungen sein. Im Ergebnis erhoffe ich mir, dass Fachleute verschiedenster Wissenschaftsgebiete – nicht nur aus der warmen dichten Materieforschung – damit Antworten auf Fragestellungen finden können, die aufgrund des Fermionischen Vorzeichenproblems bisher unbeantwortet geblieben sind.“
Die Forschung im Bereich der warmen dichten Materie (WDM) basiert auf Untersuchungen von Materie unter sehr hohen Temperatur- oder Druckbedingungen, wie sie fast überall im Universum anzutreffen sind. Auf der Erdoberfläche kommen derartige Umgebungsbedingungen indes nicht vor. In der Regel stehen astrophysikalische Objekte innerhalb unseres Sonnensystems, wie etwa die Riesenplaneten Jupiter und Saturn sowie Exoplaneten und braune Zwerge außerhalb unseres Sonnensystems im Mittelpunkt der WDM-Forschung. Neben der Gewinnung grundlegender Erkenntnisse im Bereich der Astrophysik hat diese Forschung auch große Bedeutung für technologische Anwendungen wie für die Kernfusion und für die Entwicklung dringend benötigter neuer Materialien, beispielsweise Nanodiamanten.
Wissenschaftliche Exzellenz in Görlitz
Tobias Dornheim ist seit 2019 als Postdoc am CASUS in Görlitz tätig. Seit Anfang 2022 baut er dort seine eigene Nachwuchsgruppe „Frontiers of Computational Quantum Many-Body Theory (Grenzbereiche der rechnergestützten Quanten-Vielteilchentheorie)“ auf. Laut Dr. Michael Bussmann, Gründungsbeauftragter des CASUS, ist der Erfolg hochverdient: „Ich gratuliere Tobias und freue mich sehr für ihn. Die Auszeichnung durch den Europäischen Forschungsrat würdigt seine bisherigen Leistungen und seine wissenschaftliche Vision für die kommenden Jahre. Sie zeigt auch, dass es uns am CASUS gelungen ist, in kurzer Zeit exzellente Talente nach Görlitz zu holen, die an der Spitze der internationalen Forschung stehen. Für mich ist dieser Erfolg eine Bestätigung dafür, dass der von uns eingeschlagene Weg der Exzellenz, Interdisziplinarität und Offenheit richtig ist.“
„Seit Anfang des Jahres ist das CASUS ein Institut des HZDR“, merkt Prof. Sebastian M. Schmidt, Wissenschaftlicher Direktor des HZDR, an. „Diese Anerkennung ist ein klarer Hinweis darauf, dass digitale Methoden und Werkzeuge in allen klassischen Forschungsbereichen von der Physik bis zur Medizin unverzichtbar werden. Ich freue mich daher sehr, dass wir mit dem CASUS ein erstklassiges Institut am HZDR haben, das an der Spitze der fortschreitenden Digitalisierung der Wissenschaft arbeitet.“
Seit seiner Gründung im Jahr 2007 hat sich der ERC als eine der wichtigsten europäischen Förderorganisationen etabliert. Das Programm „ERC Starting Grants“ ist eine sehr wettbewerbsorientierte Förderlinie mit einer Bewilligungsquote von etwa 14 Prozent im Jahr 2022. Für Nachwuchswissenschaftler*innen ist ein ERC Starting Grant wohl der größte Erfolg, der erzielt werden kann. In diesem Jahr hat der ERC beschlossen, 408 Forschungsanträge zu finanzieren und damit insgesamt 636 Millionen Euro für ehrgeizige junge Forschungskräfte aus so unterschiedlichen Bereichen wie Medizin, Wirtschaft oder Ingenieurwesen zur Verfügung zu stellen. Einschließlich Dornheims Förderung haben HZDR-Wissenschaftler*innen bisher sechs ERC-Anerkennungen erhalten – darunter drei ERC Starting Grants. Nach der offiziellen Bekanntgabe der erfolgreichen Anträge durch den ERC Ende November wird derzeit die Finanzhilfevereinbarung vorbereitet, um den Weg für den Projektstart am 1. März 2023 zu ebnen.
Das CASUS wurde 2019 in Görlitz gegründet und betreibt digitale interdisziplinäre Systemforschung in unterschiedlichen Bereichen wie Erdsystemforschung, Systembiologie und Materialforschung. Innovative Forschungsmethoden aus Mathematik, theoretischer Systemforschung, Simulation, Daten- und Computerwissenschaft werden mit dem Ziel eingesetzt, komplexe Systeme von bisher nie dagewesener Realitätstreue abzubilden und so zur Lösung drängender gesellschaftlicher Fragen beizutragen. Gründungspartner sind das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ), das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden (MPI-CBG), die Technische Universität Dresden (TUD) und die Universität Wroclaw (UWr). Das Zentrum wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK) gefördert und wird als ein Institut des HZDR geführt. www.casus.science
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
- Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
- Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
- Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
Das HZDR entwickelt und betreibt große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen. Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt fast 1.500 Mitarbeiter*innen – davon etwa 670 Wissenschaftler*innen inklusive 220 Doktorand*innen.
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