„Ja, ich bin krank, aber ich will leben!“

Sie erinnert sich auf den Tag genau: Wann sie die Verdachtsdiagnose erhielt. Wann sie die Diagnose bestätigt bekam: Assoziierte pulmonalarterielle Hypertonie, kurz APAH. Im Herbst 2013 erfuhr Bianca Jung-Niederberger, dass sie an dieser Form der lebensbedrohlichen Krankheit Lungenhochdruck leidet. Damals war sie knapp Mitte dreißig. „Das ist eine Lebensphase, in der wichtige Entscheidungen fallen. Wie geht es beruflich weiter? Will ich Kinder bekommen? Ich musste diese Themen alle unter dem Aspekt betrachten, dass ich chronisch krank bin und mein Leben lang Medikamente einnehmen muss“, schildert sie ihre Gedanken und Gefühle zu jener Zeit. Assoziierte PAH bedeutet, dass der Lungenhochdruck mit einer anderen Erkrankung zusammenhängt. Bei Bianca Jung-Niederberger ist es eine seltene Autoimmunerkrankung, der systemische Lupus erythematodes (SLE), wegen der typischen Rötung im Gesicht umgangssprachlich als Schmetterlingskrankheit bezeichnet. Diese Diagnose erhielt sie im April 2001, mit Anfang 20. Vorausgegangen waren rund zwei Jahre mit Gelenkbeschwerden, die zeitweilig so stark wurden, dass sie nicht mehr laufen konnte, und eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Der SLE kann jedes Organ befallen und schwer schädigen. „In meinem Fall sind Lunge und Niere beteiligt“, berichtet Bianca. „So führte der Lupus über die Jahre zum Lungenhochdruck.“

Datum der Diagnose hat sich unauslöschlich eingeprägt

Weil Bianca immer wieder an Atemnot litt, drängte ihr Lebensgefährte sie 2013, einen Kardiologen aufzusuchen. Eine Ultraschalluntersuchung ergab, dass ihre rechte Herzhälfte doppelt so groß war wie die linke – ein deutlicher Hinweis auf Lungenhochdruck: Wenn der Blutdruck in den Lungengefäßen zwischen rechter und linker Herzkammer ansteigt, führt dies nicht nur zu einer Durchblutungsstörung der Lunge und zu einer verschlechterten Sauerstoffaufnahme, sondern auch zu einer zunehmenden Überlastung der rechten Herzkammer. Im schlimmsten Fall droht Herzversagen. Bei Bianca war höchste Eile geboten. Die junge Frau kam in die Ambulanz der Fachklinik Löwenstein bei Heilbronn. Die Klinik verfügt über ein spezialisiertes PH-Zentrum. Am 16. September 2013 stand die Diagnose APAH fest. „Das Datum hat sich mir unauslöschlich eingeprägt“, sagt Bianca. „Für mich wiegt der Lungenhochdruck noch schwerer als der Lupus.“ Anhand einer Rechtsherzkatheter-Untersuchung wurde der pulmonalarterielle Mitteldruck bestimmt. Dieser liegt bei gesunden Menschen unter 20 mmHg. Bei Bianca war er auf 115 mmHg gestiegen.

Bianca bedient Maschinen im Schichtdienst

Wer die heute 43-Jährige mit dem blonden Undercut-Pferdeschwanz kennenlernt, kann zunächst kaum glauben, dass sie so schwer krank ist. Bianca lacht viel, erzählt freimütig, wie es ihr geht. Sie berichtet, dass ihre rechte Herzhälfte heute wieder kleiner ist als die linke, dass sich auch der pulmonalarterielle Mitteldruck normalisiert hat. Lieber aber spricht sie über das, was sie sonst beschäftigt und erfüllt: Seit 2016 lebt sie in Lauffen am Neckar, der Geburtsstadt des Dichters Friedrich Hölderlin, wo sie mit ihrem Lebensgefährten eine Doppelhaushälfte bewohnt. Er ist ausgebildeter Industriemechaniker und hat damit den gleichen Beruf wie sie. „Wir kannten uns schon während der Lehre, wurden aber erst etliche Jahre später ein Paar“, erzählt Bianca. Die Entscheidung, Industriemechanikerin zu werden – ein Beruf, in dem auch heute noch wenig Frauen tätig sind – fiel ihr leicht, hatte sie sich doch schon immer für Technik interessiert. „Außerdem wollte ich auf keinen Fall ins Büro.“

Heute arbeitet sie als CNC-Maschinenbedienerin, das heißt, sie bedient und überwacht Fräsmaschinen bei einem Metallverarbeitungsunternehmen in Bad Friedrichshall. Sie steht den ganzen Tag, hantiert mit im wahrsten Sinne des Wortes gewichtigen Teilen – und zwar in Vollzeit und im Wechsel von Früh- und Spätdienst. Das bedeutet, dass ihr Tagesrhythmus wöchentlich wechselt, was auch für einen gesunden Menschen eine außerordentliche Belastung darstellt. Auch eine Weiterbildung zur Maschinenbautechnikerin mit Schwerpunkt Konstruktion hat sie absolviert. In ihrer Freizeit widmet sich Bianca dem Westernreiten auf ihrem Reitbeteiligungspferd, der Stute Maybe. „Westernreiten halte ich für die pferdeschonendere Reitweise.“ Tiere liegen ihr und ihrem Lebensgefährten am Herzen: Zu Hause gehören zwei Katzen zur Familie.

„Guardians of Pulmonary Hypertension“ suchen neue Mitglieder

Wie schafft Bianca das alles? Geholfen haben ihr gute Ärzte, die auf Lungenhochdruck spezialisiert sind. Früher ging sie ins PH-Zentrum der Fachklinik Löwenstein zu Dr. Gerd Stähler, heute ist sie am von Professor Ekkehard Grünig geleiteten Zentrum für Pulmonale Hypertonie des Universitätsklinikums Heidelberg in Behandlung. Gewissenhaft hält sie ihre Kontrolltermine ein, nimmt seit Jahren die Medikamente Ambrisentan, einen Endothelinrezeptorantagonisten, und Tadalafil, einen Phosphodiesterase (PDE)-5-Inhibitor. Auch den Lupus lässt sie konsequent behandeln. Geholfen hat ihr aber auch der Verein pulmonale hypertonie (ph) e.v., der an Lungenhochdruck Erkrankte und ihre Angehörigen unterstützt, über Diagnostik und Therapie informiert, Kontakte zu Spezialisten herstellt, Öffentlichkeitsarbeit betreibt und nicht zuletzt die Vernetzung der Patientinnen und Patienten untereinander fördert. „Wenn ich mich mit einer Frage an Regina Friedemann in der ph e.v.-Geschäftsstelle wende, dann weiß sie entweder die Antwort oder sie kennt jemanden, der sie weiß“, berichtet Bianca Jung-Niederberger. Um innerhalb des Vereins gezielt jüngere Betroffene anzusprechen und miteinander in Kontakt zu bringen, engagiert sie sich gemeinsam mit Antje Gillenberg und Carolin Thurmann als „Guardians of Pulmonary Hypertension“ (Wächter des Lungenhochdrucks), kurz GoPH. Die Gruppe hat sich den Wahlspruch „Just breathe and fuck PH“ gegeben. Sie spricht bei Patiententreffen Themen an, die vor allem junge Erwachsene betreffen, ist auf Social Media aktiv und würde gern noch mehr jüngere Mitglieder gewinnen. Vom 13. bis 15. April 2023 organisieren die GoPH in Frankfurt/Main ein eigenes Treffen für Patienten bis 45 Jahre und ihre Angehörigen.

Eigene Grenzen erkennen gehört dazu

Bianca gewinnt ihre Stärke nicht zuletzt auch aus ihrer Einstellung, die sie in einem Satz zusammenfasst: „„Ja, ich bin krank, aber ich will leben!“ Für sie bedeutet das, sich nicht zurückzuziehen, sondern in ihrem Beruf tätig zu sein und ihren Reitsport zu betreiben, solange es geht. Allerdings bedeutet es auch, ihre Grenzen zu erkennen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. So hat Bianca, was ihr nicht leicht fiel, auf Kinder verzichtet und sich 2014 sterilisieren lassen – Schwangerschaft und Geburt hätten ihr Leben gefährden können. Ihr Partner hat diese Entscheidung mitgetragen. Die 43-Jährige hat auch eingesehen, dass sie beruflich nicht unendlich belastbar ist. Nachdem sie sich über Monate viele Überstunden zugemutet hatte, zwang sie ein Treppensturz zu Hause zu einer Pause. Sie fiel so unglücklich, dass sie sich einen Arm brach. Glücklicherweise ist der Bruch gut verheilt. Bianca Jung-Niederberger ist sich auch bewusst, dass nicht jede PH-Patientin so aktiv sein kann wie sie. „Wir haben alle die gleiche Erkrankung, aber jede von uns ist anders. Das ist wichtig zu akzeptieren.“

Sibylle Orgeldinger

Infos zu den Guardians of Pulmonary Hypertension unter https://www.phev.de/goph

Über den Pulmonale Hypertonie (PH) e.V.

Der pulmonale hypertonie e. v. (ph e.v.) hat einen Informationsdienst zum Krankheitsbild Lungenhochdruck für Betroffene, Angehörige und Interessierte eingerichtet. Er gibt Informationen über Symptome und Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie weiter und vermittelt Kontakte zu spezialisierten Ärzten und Kliniken.

Der Verein gibt Rat und Hilfe bei Fragen zur medizinischen und sozialen Versorgung.

Der pulmonale hypertonie e. v. veranstaltet bundesweite Patiententreffen mit Angehörigen.

Für Familien mit an PH erkrankten Kindern findet jährlich ein PH-Familientreffen in wechselnden Städten statt. Auch ein Treffen für junge Patienten wird jährlich organisiert. Zweimal im Jahr verschickt der Verein an Mitglieder und Interessierte eine Broschüre (Rundbrief) mit Berichten der Landesverbände und Artikeln aus Medizin und Forschung. Außerdem gibt es ein Newsletter.

Auch die Homepage des Vereins (www.phev.de) bietet viele Informationen und Service-Angebote.

Der Öffentlichkeitsarbeit kommt eine zentrale Bedeutung zu. Der Verein ist bundesweit tätig und pflegt internationale Kontakte zu PH-Organisationen.

Landesverbände bestehen in fast allen Bundesländern oder sind entsprechend koordiniert. Mehrfach jährlich finden regionale Patiententreffen statt.

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