Das Bundesaufnahmeprogramm hilft nicht allen Betroffenen

Bereits seit knapp einem Jahr ist ein Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan im Koalitionsvertrag verankert. Am 24. November 2021 nahm sich die Regierungskoalition vor, sie werde “diejenigen besonders schützen, die […] sich für Demokratie und gesellschaftliche Weiterentwicklung eingesetzt haben” – also auch Journalistinnen und Journalisten. Reporter ohne Grenzen (RSF) begrüßt, dass das Aufnahmeprogramm nun in den Startlöchern steht. Allerdings bestehen zum einen noch grundsätzliche Unklarheiten, zum anderen hängen die betroffenen Medienschaffenden noch immer in der Schwebe.

„In der jetzigen Form des Aufnahmeprogramms würden Medienschaffende, die aufgrund ihrer akuten Gefährdung das Land auf eigene Faust verlassen mussten, durch das Raster fallen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Entweder sie bleiben als Geflüchtete in den Nachbarländern stecken, dürfen dort nicht arbeiten und haben keine Aussicht auf einen Platz im Programm. Oder sie folgen dem Fünkchen Hoffnung auf einen solchen Platz und riskieren den Weg zurück nach Afghanistan – wo aber mit den Taliban schon ihre Verfolger auf sie warten.“

Die Bundesregierung ist für diese vertrackte Lage mitverantwortlich. Denn bereits wenige Tage nachdem die Taliban Kabul überrannten, rieten Mitarbeitende der Bundesregierung auf Arbeitsebene, dass Journalistinnen und Journalisten in Nachbarländer ausreisen sollten, sobald sich ihnen eine Möglichkeit dafür böte. Vor allem höchst gefährdete Medienschaffende, die damit rechnen mussten, als eine der ersten Gruppen unter der Repression der Taliban zu leiden, flüchteten so schnell sie es konnten, zumeist nach Pakistan. Ihr rechtlicher Status erlaubt ihnen nicht, dort weiter journalistisch zu arbeiten, wodurch sie als wichtige Stimmen in der afghanischen Medienlandschaft verstummen. Zugleich sieht sich das Bundesaufnahmeprogramm in der momentan geplanten Form nicht für sie zuständig, denn nur wer sich in Afghanistan befindet, gehört zur Zielgruppe. 

Lösung für in Nachbarländern gestrandete Medienschaffende: Stichtagsregelung

Eine Lösung könnte eine Stichtagsregelung sein: Beispielsweise könnten alle Journalistinnen und Reporter, die nach dem 15. August 2021 in Nachbarländer ausgereist sind, im Aufnahmeprogramm berücksichtigt werden. Oder sie könnten im Sinne einer Härtefallregelung in einem klaren, zügig umzusetzenden Verfahren humanitäre Visa nach § 22 S. 2 AufenthG für besonders gefährdete Personen erhalten.

Neben einer Drittstaatenregelung empfiehlt Reporter ohne Grenzen dringend, das geplante IT-System einer Testphase zu unterziehen. Das – gänzlich neue und unerprobte – System soll dazu dienen, die zu erwartende Fülle an Gefährdungsanzeigen besser beherrschbar zu machen und bei der Auswahl der vom Programm Begünstigten zu unterstützen. RSF hält ein solches System für grundsätzlich sinnvoll. Allerdings sollten die involvierten Behörden zum einen die Auswahlkriterien transparent machen und zum anderen das IT-System unbedingt technisch und inhaltlich testen.

RSF zeigt sich bereit, Beispielfälle testweise in das System einzugeben, um damit einzuschätzen, ob das System die komplexen Fälle von Hilfesuchenden vollständig und realistisch abbilden kann. Nur dann kann das technische System die sensible Entscheidung über die Auswahl für das Aufnahmeprogramm auch nur annäherungsweise unterstützen. Angesichts der individuell teils sehr komplexen Bedrohungslagen der Betroffenen ist die Expertise von zivilgesellschaftlichen Organisationen enorm wichtig – sollte auch weiter gehört werden.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Afghanistan auf Platz 156 von 180 Staaten.

Mehr zur Situation von Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan: www.reporter-ohne-grenzen.de/afghanistan

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