Liebe und Leid, Ernst und Scherz, zwei Tote im Dorfkonsum und Chicago an der Ostsee – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Wie sind Liebe und Leid mit Scherz und Ernst gepaart? Diese Frage beantwortet auf höchst unterhaltsame und vergnügliche Weise das erste der insgesamt fünf aktuellen Angebote dieser Ausgabe, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 04.10.19 – Freitag, 11.10.19) zu haben sind. Für „Das Verhängnis der Müllerstochter“ hat sich Gerhard Branstner in mehreren Jahrhunderten deutscher Volksdichtung umgesehen. Sein Ziel war es zu erreichen, dass als wesentliche Form des Geistes uns die Heiterkeit bald leichter fällt. Eine gerade für Deutsche offenbar nicht ganz einfache Aufgabe. Aber dennoch oder gerade darum sind die gesammelten Sänge und Reime aus dem „Verhängnis der Müllerstochter“ lesens- und vielleicht sogar wieder einmal vorlesenswert.

Einen besonderen Blick auf einen Teil der Geschichte der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern wirft Detlev Dietze in seinem reichlich mit historischen Ansichtskarten und Bildern versehenem Buch „Ernstes und Heiteres aus der Residenzstadt Schwerin“.

Außerdem präsentiert der heutige Newsletter zwei Krimis: „Der Tod zahlt mit Dukaten“ von Wolfgang Held beginnt mit einem grausigen Fund im Keller des Dorf-KONSUMs. In „Unabwendbar“ von Wolfgang Schreyer geht es dagegen zunächst nur um eine Einbruchsserie in einem Dorf an der Ostsee. Doch dann gibt es auch dort einen Toten.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Gegenwärtig scheint sich auf der Welt vieles, wenn nicht fast alles nur um das Thema Klimawandel zu drehen. Aber es gibt leider auch nicht wenige Beispiele für Kämpfe um Macht und Einfluss, die mit mehr oder weniger Gewalt ausgefochten werden. Eine gefährliche Situation. Aber dass die menschliche Zivilisation nicht zum ersten Mal mit derartigen Problemen zu kämpfen hat, das zeigt ein utopischer Roman aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, der aus einer ungewöhnlichen Perspektive erzählt wird.

Erstmals 1963 veröffentliche Carlos Rasch im Verlag Das Neue Berlin seinen phantastischen Roman „Der blaue Planet“: In grauer Vorzeit näherte sich unserer Welt das Raumschiff einer fernen und fremden Zivilisation. Es war schon lange unterwegs. Raumangst begann unter der Besatzung zu zirkulieren angesichts der wuchtigen andauernden Unendlichkeit des Alls und seiner schieren Leere. Sie hatten ihr bisher getrotzt. Nun aber wollte man endlich wieder festen Boden unter sich haben. Auch der nukleare Treibstoff für den Antrieb neigte sich dem Ende zu. Es galt daher, die Reise zu unterbrechen. Die Wahl dazu fiel auf das Sonnensystem. Speziell sein dritter Planet war für die Fremden in mancherlei Hinsicht zum Verweilen geeignet. Doch man ließ Vorsicht walten, denn es gab Anzeichen für das Vorhandensein einer Zivilisation auf noch geringer Stufe. Das bedeutete, behutsam vorzugehen und Schaden zu vermeiden. Man klopfte von der Kreisbahn her quasi erst mal an und polterte nicht einfach herein, wenn selten genug – einmal eine Welt eine Heimstatt war. Deshalb kam es dazu, dass vor circa 5 000 Jahren fremde Raumfahrer nur vereinzelt den Boden der Drittwelt betraten. Es war das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris zu Beginn menschlicher Zivilisation. Was sie erlebten, das erzählt der Autor Carlos Rasch in seinem Buch „Der blaue Planet“. Dabei lässt er auf besondere Weise die sagenumwobenen Sumerer lebendig werden, die noch vor den Pharaonen existierten. Abenteuerlich und wirklichkeitsnahe tritt das Geschehen aus der Vergangenheit hervor. Die Fremden steigen für die Menschen göttergleich vom Himmel herab. Das ist den Astronauten peinlich und ungewollt. In ihren Gesichtern spiegelt sich zuweilen Entsetzen über mancherlei Rohheit der Menschen. Als sumerische Fürsten die in vielen Dingen überlegenen ‚Sendboten des Himmels‘ gar noch für sich vereinnahmen wollen in Waffengewalt und bei Machtspielen, ziehen sich die Astronauten zurück und reisen wieder ab. Sie fürchten die Verstrickungen, die sich sonst noch ergeben würden. „Der blaue Planet“ erschien seit seiner Veröffentlichung 1963 in rund 260 000 Exemplaren. Es war das zweite Buch von Carlos Rasch. Ihm voraus ging sein 1961 veröffentlichter Erstling „Asteroidenjäger“, der von der DEFA 1970 für den Film „Signale – Ein Weltraumabenteuer“ verwendet wurde. Aber zurück zu seinem zweiten Buch. Zunächst befinden wir uns in dem fremden Raumschiff und erleben seine Annäherung an die Erde mit:

„DIE SCHATTEN DER HELOIDEN

Die große Steuer- und Befehlszentrale im Zentrum des kreiselförmigen Raumschiffes lag im Dunkeln.

Nur die Streifen breiter Lichtbänder sandten einen matten, vielfarbigen Schein aus. Leuchtzeichen blinkten, Registrierkurven zuckten; Signale zahlreicher Mess- und Regelautomaten.

Kein Geräusch durchdrang die Stille. Nichts in diesem Reich lautlos arbeitender Steuerautomaten deutete auf Lebewesen hin.

Zeitweilig verstärkte sich das Blinken der Leuchtzeichen. Die Leuchtbänder dehnten sich, flossen zusammen und bildeten eine große, helle Fläche. Eine irrlichternde Kette lief im Zickzack über das ovale Rund der Wand.

Warnzeichen der Kyberneten!

Die flinke Lichterkette erstarb ebenso überraschend, wie sie unversehens begonnen hatte. Die Leuchtbänder mit den fremdartigen Zeichen trennten sich wieder. Die Symbole auf ihnen verblassten. Blitzschnell hatten die Steuerautomaten die Gefahr gebannt.

Jedes Mal, wenn das Kreiselschiff eine Zone intensiver kosmischer Strahlung durchstieß, glomm in der Kuppel über dem Raum warnend ein magischer violetter Schein auf. Der Rhythmus der Registrierkurven und der Lichtsymbole auf den Kontrollbändern wurde dann stets rascher oder auch beängstigend fiebrig.

Aber schon kurze Zeit später pulsierten sie wieder in gleichmäßigem Wechsel, Ruhe und Sicherheit ausströmend.

Unvermutet schwangen Laute durch das dämmrige Dunkel, eine Folge hoher Töne. Jemand fragte: „Sil, kannst du deine Kontrollbeobachtungen unterbrechen und mir zuhören?“

Plötzlich war ein langer Schatten da. Er schob sich quer durch die Zentrale.

Wo er verharrte, ballte sich bewegungslos ein zweiter Schatten. Eine neue Serie von Tönen klang auf. „Die Instrumente sagen nichts Beunruhigendes aus. Der Energieschirm vor unserem Raumschiff arbeitet einwandfrei und lässt keine kosmischen Teile durchdringen. Du hast meine volle Aufmerksamkeit, Azul.“

Der lange Schatten schrumpfte zusammen und verharrte ebenfalls bewegungslos. Kaum vernehmbar und nur schwer zu unterscheiden, folgten jetzt rasch und ununterbrochen hohe, sirrende Schallschwingungen, mit denen sich die beiden Wesen verständigten.

„Sil! Ich habe die Winkel zu den Sonnen gemessen und den Bahnbogen unseres Kurses überprüft. Das Ergebnis stimmt mit dem der automatischen Navigatoren überein. Wir stoßen in den Sektor n16 – z 8198 pc vor. Die Mitte des Großen Abgrundes zwischen dem inneren und dem äußeren Arm unserer Sternspirale ist also fast erreicht. Wäre es nicht jetzt schon an der Zeit, eine erkaltete Raumkugel anzusteuern, zu landen und nach Urenergie für die Triebwerke zu suchen? Unsere Treibstoffe sind zwar für den Flug bis zu den Teloiden am Rande unserer Sternspirale ausreichend und erst zum Teil verbraucht. Wir sollten sie aber trotzdem ergänzen. Die Sicherheit für uns ist dann größer. Wer weiß, was uns auf dem Wege dorthin noch bevorsteht.“

Aus der Positionsangabe ging hervor, dass das Raumschiff auf seiner Fahrt von einem Planeten im Inneren der Galaxis zu einem Planeten an ihrem Rande ungefähr die Hälfte des vorgesehenen Weges zurückgelegt hatte und dabei bis weit in das Gebiet des Großen Abgrundes vorgestoßen war. Dieser sternenarme Große Abgrund zwischen den beiden Hauptarmen der Milchstraße glich einer schwarzen Leere. Das bedachte Sil, bevor er sagte: „Es gibt hier wenige Sonnen und kaum erkaltete Raumkugeln.“

Eine kurze Pause entstand. Sils schattenhafter Gestalt war eine Bewegung anzumerken. Er schaltete ein Gerät ein, und sofort begann ein schmales, längliches Leuchtband zu schimmern. Lichtzeichen glitten flackernd darüber hinweg. Sil las sie. Dann sagte er: „Ich habe errechnet, dass die ‚K u a‘ mit der bei uns vorhandenen Urenergie nicht nur die Sterne des äußeren Armes erreichen, sondern von dort durchaus auch noch ein Stück zurückkehren kann. Deshalb meine ich, sollten wir unseren schnellen Flug jetzt noch nicht unterbrechen, jetzt noch nicht.“

Azul fühlte, wie erstaunt Sil über seinen Vorschlag war, bald zu landen. Seine Furcht wuchs. Ich muss Sil überzeugen, dachte er, und er hörte sich sagen: „Je weiter wir in den Kosmos vordringen, um so mehr werden wir die Fluggeschwindigkeit herabsetzen und Umwege machen müssen, weil wir die Lage und Stärke der Gravitationsfelder, die geometrischen Eigenschaften des raumzeitlichen Kontinuums und die Verteilung der Materie in den unerforschten Randgebieten unserer Sternspirale nicht exakt kennen. Diese Vorsichtsmaßnahmen werden uns viel Energie kosten, besonders dann, wenn wir auf Grund unvorhergesehener Umstände die Lichtdruckschleuder, unser rationellstes Triebwerk, nicht mehr benutzen können und wir das altertümliche, die Urenergie verschwendende Atomtriebwerk einsetzen müssen. Die physikalischen Brennstoffe können also viel rascher zur Neige gehen als vorausberechnet. Der Kosmos kann uns jederzeit böse Überraschungen bereiten, für die wir gerüstet sein sollten. Die Vorräte müssen daher rechtzeitig…“

Azul verstummte jäh. Was rede ich da, fragte er sich. Sind das meine wirklichen Gründe?

Da war es wieder, das Grauen.

Plötzlich wusste er, was für eine Furcht in ihm hochstieg, was ihn in der letzten Zeit immer stärker bedrückte: die gefährliche Raumangst!

Je schneller sie flogen, umso mehr ballten sich die Lichtfünkchen der vielen Sterne vor ihnen in eigentümlicher Weise zusammen und nahmen merkwürdige Farben an. Hinter ihnen bot sich das gleiche Bild. Ringsum aber war es schwarz und leer. Kaum ein Stern war zu den Seiten hin sichtbar. Das waren Relativitätseffekte, Erscheinungen ihres fast lichtschnellen Fluges. Ihn fror. Rundherum Finsternis, Bodenlosigkeit, Unendlichkeit, Lautlosigkeit.

Azul unterdrückte ein Stöhnen. Warum hatte die Raumangst gerade ihn gepackt?

Durfte er den anderen seine Schwäche verheimlichen?

Durfte er die anderen damit belasten?

Ich muss mich gegen die Raumangst wehren, muss sie vertreiben, redete er sich ein.

Azul erschrak, als Sil sagte: „Ich habe Gohati aus seinem künstlichen Dauerschlaf geweckt. Wir werden mit ihm beraten, ob wir den Flug unterbrechen. Gohati wird bald erscheinen.“

Azuls Argumente waren der Besatzung nicht neu. Bereits vor dem Start der Expedition waren sie durchdacht und erwogen worden. Sil überlegte. Warum diese Mahnung zur Vorsicht? Wogen bei Azul die Gründe jetzt schwerer als bisher? Schon zu landen war doch nicht notwendig, trotz aller Vorsicht. Es musste da wohl noch etwas anderes sein, was er nicht zu erkennen vermochte. Was wird Gohati sagen, wenn er Azuls Vorschlag hört?“ Und damit zu ausführlicheren Vorstellungen der anderen Sonderangebote dieses Newsletters:

Erstmals 1985 veröffentlichte Gerhard Branstner im Mitteldeutschen Verlag Halle „Das Verhängnis der Müllerstochter. Sänge und Reime. Aus etlichen Jahrhunderten deutscher Volksdichtung ausgebuddelt und fürwitzig zurechtgemacht oder füglich neu erdacht“: „Wer sich nicht lustig macht, der nimmt ein schlimmes Ende“, behauptet hier ein weiser Tor. Und recht hat er! Man sieht es ja an den Tränen der schönen Müllerstochter; vernimmt von Herrn Strunk, der sich erhunk; ahnt‘s aus dem Amtsleben des „Pflichtbürgers“ oder dem Klagelied einer Brombeerpflückerin. Wer dagegen mit dem Autor möchte, „dass als wesentliche Form des Geistes uns die Heiterkeit bald leichter fällt“ auf dieser Welt, der wird aus diesem Büchlein vergnüglich erfahren, in welcher Weise Liebe und Leid mit Scherz und Ernst gepaart sein können. Gerhard Branstner, der sich auch immer wieder um die Weiterführung bewährter oder um die Wiederbelebung vergessener traditioneller Kunstformen bemüht, hat in seiner Version verschiedenste Themen und Formen, Motive und Stimmungen mehrhundertjähriger Volksdichtung erstehen lassen. Der Vorzug ist dem Sangbaren, Liedhaften gegeben – und all den kräftigen, deftigen, schaurigen oder witzigen Geschichten, die für das Vorlesen oder Vortragen noch besonderen Spaß versprechen. Hier drei Beispiele aus dem vergnüglichen Plädoyer für die Leichtigkeit der Heiterkeit:

Ein deutsches Schicksal

» 22 «

Kennt ihr die Fama von Doktor Faustus,

der alle naslang was Großes tat?

Nehmt zum Exempel nur Jungfer Grete,

die ihn um ewige Treue bat.

Doch Heinrich ist ihr nicht treu geblieben,

er ließ sie sitzen, die schwanger war,

und wandte ab sich wohl nach dem Süden

ins Land der Griechen zu Helena,

nananana …

Dort war ihm Paris zuvorgekommen,

und unser Heinrich war nicht gefragt.

Da ist er wieder nach Haus gezogen

und hat der Liebe Valet gesagt,

sasasasasagt.

Und seit dem Tage sitzt er am Stammtisch –

Heil Barbarossa!

Und trinkt sein Bier …

Das ist das Schicksal des deutschen Mannes –

Ach lieber Heinrich, mir graut vor dir!

Didididir …

Die kleine Liebelei

» 38 «

Eine kleine Liebelei, Liebelei, Liebelei,

na was ist da schon dabei.

Einen Kuss, vielleicht auch mehr,

na was ist da schon dabei?

Weiter nichts, bitte sehr,

na was ist da schon dabei.

Eine kleine Liebelei ist vorbei, ist vorbei,

na was ist da schon dabei.

Ist vorbei und ist nicht mehr,

na was ist da schon dabei?

Weiter nichts, bitte sehr,

na was ist da schon dabei.

Eine kleine Liebelei, Liebelei, Liebelei,

na was ist da schon dabei.

War’s vielleicht auch etwas mehr,

mach beim Abschied nicht viel her:

Einen Kuss oder zwei

und ein Lächeln auch dabei.

Liebelei, Liebelei

ist vorbei, ist nicht mehr.

Weiter nichts, bitte sehr –

na was ist da schon dabei.

Lalala, lalala, lalala, lalala.

Weiter nichts? – Bitte sehr!

Lalala

lalalala.

Humoristische Wahrheit

» 41«

Dem Deutschen sagt man nach,

ihm fehle der Humor.

Das kommt mir seltsam vor,

denn „man“, das ist er selber.

Er ist’s, der seinem Volke

den Humor abspricht.

Allen anderen Deutschen,

nur sich selber nicht.

Er will ihn alleine haben:

Das ist der dem Deutschen eigne

Mangel an Humor.

Ansonsten kommt er hierzulande

wie woanders vor.“

Erst vor wenigen Tagen brachte die EDITION digital in einer Eigenproduktion – und zwar sowohl als geduckte Ausgabe als auch als E-Book – „Ernstes und Heiteres aus der Residenzstadt Schwerin“ von Detlev Dietze heraus, versehen mit Historischen Ansichtskarten und Bildern aus der Sammlung des Autors und aus der Sammlung von Andreas Bendlin: Die Zeit zwischen den Revolutionen 1848 und 1918 war einer der turbulentesten und aufregendsten Abschnitte in der deutschen Geschichte. Sie war geprägt von großen gesellschaftlichen Umbrüchen, der fortschreitenden Industrialisierung und dem Beginn und Ende der Wilhelminischen Epoche. Verfassungen wurden gegeben und wieder genommen. Kriege wurden gewonnen und verloren – und ein Kaiserreich wurde gegründet, das am Ende des Ersten Weltkrieges wieder zerbracht. Große Geschichte, die nicht vergessen wird. Aber Geschichte wird auch durch Geschichten geschrieben. Doch diese sind meist vergessen, obwohl sie den Alltag dieser Zeit prägten. Eine kleine Unachtsamkeit, welche mit einer Katastrophe enden kann, Zufälle, die große Pläne zerstören, … Der Autor hat etliche Ereignisse die sich im täglichen Leben der mecklenburgischen Residenzstadt Schwerin abspielten, recherchiert und in diesem Band gesammelt. Gehen Sie mit ihm auf Leopardenjagd in Schwerin, werden Sie Zeuge eines Postraubes oder nehmen Sie an Rettungsaktionen auf den Schweriner Seen teil. 82 historische Ansichtskarten erleichtern dem Leser das Abtauchen in die Residenzstadt vor mehr als 100 Jahren. Und manchmal war es auch in Schwerin ziemlich gefährlich, zumal es eine Stadt der Wälder und eine Stadt der Seen ist. Aber lesen Sie selbst diesen folgenden Ausschnitt aus dem Abschnitt „Wasser hat keine Balken“:

„Die Gewässer der Stadt sind immer wieder Schauplatz tragischer Ereignisse. Kälte, Sturm und Regen, Blitze, Donner und Hagelschauer – charakteristische Merkmale der Witterung im Herbst oder Winter. Aber auch die anderen Jahreszeiten wissen mit vergleichbaren Attributen aufzuwarten. Im Sommer 1884 brechen in Teilen Deutschlands Gewitter los, die es in sich haben. Ein nach Hessen verschlagener Mecklenburger schreibt an die Mecklenburgische Zeitung:

„Vorgestern Nachmittag fiel hier ein furchtbarer Hagelschlag. Eisstücke von der Größe von Hühnereiern habe ich aufgelesen. Fensterscheiben sind nicht viel heil geblieben, es sieht aus, als sei Krieg gewesen. Die Leute, die auf dem Feld gewesen, haben sich platt auf die Erde gelegt, und ihren Kopf mit Kleidern, Sand und Schmutz bedeckt. Die Kühe waren mit Beulen bedeckt, als hätten sie die Pocken.“

Auch aus der benachbarten Provinz Brandenburg laufen Schreckensmeldungen ein. „Weizen, Gerste, Hafer liegen wie zu Boden gestampft. Bäume und Telegrafenstangen sind über die Schienen geworfen. Sämtliche Gartengemüse sind vernichtet. Die Pflaumen bedecken gleich Pflastersteinen die Gärten und Alleen.“

Schwerin wird von ähnlichen Wettererscheinungen nicht verschont bleiben. Unheimliche Vorboten auf das, was auf die Stadt zukommen wird, zeigen sich am 11. Juli. Schon seit Tagen ist es schwülwarm, kaum weht Wind. Freitagnachmittag: Der Himmel ist mit schweren, tief hängenden Wolken bedeckt und zeigt sich tiefschwarz. Gelegentlich donnert es, ein Gewitter scheint unausbleiblich. Über dem Ostorfer See senken sich an zwei Stellen die Wolken trichterförmig bis auf die Wasseroberfläche, saugen das Wasser in die Höhe, wenig später löst es sich als Platzregen wieder auf. Das Phänomen wiederholt sich auf dem Schweriner See in noch größerem Ausmaß. Ein Augenzeuge vergleicht die Größe der unheimlichen Wolke mit der Größe des Alten Gartens. Sie wirbelt viel Wasser auf, bewegt sich aber nur sehr langsam. Alte Schweriner meinen, vor 50 Jahren letztmalig dieses Phänomen auf dem Großen See, wie der Schweriner See damals noch genannt wurde, beobachtet zu haben. Diese Naturerscheinungen, Wasserhosen genannt, sind nichts Geringeres als Tornados, räumlich begrenzte Wirbelstürme über einem großen Gewässer. Ihr Entstehen verdanken sie großen Temperaturgegensätzen zwischen Wasser und Luft. Auf dem Schweriner See wimmelt es zu jeder Tageszeit von Wasserfahrzeugen. Lastenkähne mit Gütern aller Art, vornehmlich mit Baumaterialien beladen, kreuzen hin und her. Auch Freizeitkapitäne bevölkern den See. Da sich die Wasserhose aber schon nach wenigen Minuten wieder auflöst, kommt niemand zu Schaden.

Das heftigste Gewitter dieses Sommers erreicht die Stadt am 16. Juli. Bereits am Nachmittag beginnt der Himmel, sich zuzuziehen. Von Westen her ziehen dichte Haufenwolken heran. Als um 19 Uhr das Gewitter losbricht, ist die Stadt wie leer gefegt. Wer sich noch auf der Straße zeigt, wird von der Wucht des Orkans umgeworfen. In der Apothekerstraße reißt ein Blitz ein Dienstmädchen zu Boden. Das Mädchen trägt keine Verletzungen davon, bleibt aber stundenlang benommen, unfähig auch nur ein Wort hervorzubringen. Anders als zu erwarten war, gibt es keine großen Schäden in der Stadt. Aber vielen stellt sich die bange Frage: Was ist auf dem Schweriner See passiert?

Noch zur Mittagszeit ist der See mit Kähnen und Freizeitbooten dicht befahren. Als das Unwetter heranzieht, sucht jeder sich in Sicherheit zu bringen. Wer es bis zur Stadt nicht schaffen konnte, hat sich nach dem Kaninchenwerder geflüchtet. Die vom Unwetter überraschten Dampfer „Paul“ und „Pfeil“ können kaum noch manövrieren. Die Sicht ist gleich null, Blitz auf Blitz geht nieder und Hagelkörner, groß wie Walnüsse, zertrümmern die Scheiben der Kajüten. Letztendlich geht auch hier alles gut aus. Umsichtiges Handeln der Bootsführer verhindert Schlimmeres.

Dass die Sorgen nicht unbegründet sind, zeigt ein Vorfall, der erst wenige Tage zurückliegt. Es ist Donnerstag, der 10. Juli 1884. Schiffer Jannsen betreibt in der Werdervorstadt einen Bootsverleih. Ein sich auf Urlaub befindender Matrose leiht sich das Kielboot „Martha“ für eine Vergnügungstour mit seinem Mädchen und einem Bekannten. Jannsen plant, mit diesem Boot in zwei Wochen an der ersten Schweriner Segelregatta teilzunehmen, ahnt zu diesem Zeitpunkt aber nicht, dass er seine „Martha“ so nicht wieder sehen wird.“

Der erste der beiden Krimis dieses Newsletters stammt von Wolfgang Held, der „Der Tod zahlt mit Dukaten“ erstmals 1964 im Verlag Das Neue Berlin veröffentlichte: Ein grausiger Fund schreckt die Einwohner eines kleinen thüringischen Ortes aus ihrer beschaulichen Ruhe auf. Der Leiter des Dorfkonsums entdeckt im Lehmboden seines Lagerkellers zwei vermoderte Leichen. Wenig später stößt man in einem abgelegenen Wald auf einen weiteren Toten. In allen drei Fällen wird Mord festgestellt. Kostbare Goldmünzen, bei den Opfern gefunden, lenken die Kriminalpolizei auf eine Fährte, die sich jedoch im Unbekannten zu verlieren droht. Auch in der Nervenheilanstalt Fichtenhain wird nach der Herkunft seltener Münzen geforscht. Sie sind seit Jahren im Besitz eines Mannes, der sich an nichts erinnern kann, der nicht einmal seinen Namen weiß. Wo enden diese seltsamen Spuren? Der spannende Kriminalroman wurde 1966 von der DEFA unter dem Titel „Flucht ins Schweigen“ verfilmt (Regie: Siegfried Hartmann). Kinopremiere war am 26. Mai 1966 im Berliner Kino International. Die Fernseh-Erstausstrahlung erfolgte im Programm des Deutscher Fernsehfunks am 7. April 1967. Und so kommt die Geschichte überhaupt ins Laufen:

„Der Konsumverkaufsstellerleiter Rudi Schröter war an diesem feuchtkalten und regenschweren Sonntagmorgen zu ungewöhnlich früher Stunde aufgestanden. Voller Groll stieg er in den geräumigen Keller, der für die Verkaufsstelle als Lagerraum diente. Die Luft hier unten war frostig. Es roch ein wenig nach Backobst, ein bisschen nach Salzheringen und intensiv nach Seife! Eben diese Mischung hatte Tage vorher das Missfallen eines Kollegen der Hygieneinspektion erregt.

Nun war aber Rudi Schröter nicht einer von denen, die warten, bis den Steinen Beine wachsen. Die Lösung fand er in einer Unterteilung des Kellers. Der LPG-Vorsitzende hatte ihm zu Holz verholfen, hatte Nägel besorgt und sogar den alten Dükopp überredet, der etwas von Holzwänden und Türen verstand, auf seine Sonntagsruhe zu verzichten.

Nachdem Rudi Schröter im Lagerkeller Platz für die Trennwand geschaffen hatte, ging er auf den Hof, wo die Bretter bereitlagen. Da kam auch schon Dükopp mit seinem Werkzeug.

„Wird kein schöner Sonntag!“, begrüßte der krumm-schultrige Alte den Verkaufsstellenleiter und blinzelte hinauf zum verhangenen Herbsthimmel.

„Hm“, brummte Rudi Schröter. Ob Wolken oder Sonne, was war ihm schon ein Sonntag wert, an dem man nicht einmal ausschlafen konnte. Der Teufel sollte alle Hygienemänner holen!

Unten im Keller interessierte sich der alte Zimmermann zuerst für die Flaschen in den Regalen. Sachverständig studierte er die Etiketten.

„Die Luft ist trocken hier, finde ich, sehr trocken!“ Der Verkaufsstellenleiter wollte Gläser holen, doch der Alte winkte ab. Nach einem zünftigen Zimmermannsschluck machte sich Dükopp schließlich ans Ausmessen.

„Und die Tür? Wo willst du die Tür hinhaben?“

Rudi Schröter zeigte die Stelle. Wieder maß der Alte ab und kratzte dann mit dem Schuhabsatz zwei Kreuze in den festgestampften Lehmboden. „Für die Pfosten“, erklärte er. „Gesellenarbeit, das Ausgraben. Fang man schon damit an. So etwa einen halben Meter tief.“

Während der alte Dükopp im Hof mit Beil und Säge hantierte, trieb Rudi Schröter im Keller den Spaten in den steinharten Lehm.

Endlich stieß er auf körnigen Sand. Er schaufelte schneller. Knirschend drang der Spaten immer tiefer. Genug, dachte Rudi Schröter und kniete nieder. Mit den Händen holte er den Rest loser Erde aus dem Loch. Da hielt er jäh inne. Sekundenlang starrte er in das Erdloch. Vorsichtig fasste er schließlich wieder zu. Etwas Hartes, Metallisches war ihm zwischen die Finger geraten. Er wollte es herausziehen, doch es ging nicht.

Irgendein größerer Gegenstand musste da im Boden verborgen sein. Rudi Schröter beugte sich tiefer. War das nicht ein … Ja, ein Metallknopf! Kräftig zog er daran. Er hielt einen Patentknopf in der Hand. Ein paar vermoderte Stofffasern hingen daran. Ein Uniformknopf? Hatte der Ortsnazi, ehe er hier alles im Stich ließ, in diesem Keller vielleicht seine Paradekleidung verbuddelt? Oder hatte der frühere Geschäftsinhaber ein geheimes Warenlager angelegt?

Schröter kniete sich flach auf den Boden und starrte angestrengt auf den Grund. Ein eisiger Hauch kroch über seine Haut. Für Sekunden vermochte er sich nicht zu rühren. Wie gebannt hing sein Blick an dem grausigen Fund. Dann nahm er seine ganze Kraft zusammen, sprang auf, warf angeekelt den Metallknopf in das Loch zurück und hastete zur Kellertür. „Eva! Dükopp! Schnell doch!“ Keuchend hetzte er die Treppe hinauf. Oben in der Wohnung klapperten Pantoletten über die Dielen. Eva Schröter erschien am Treppenabsatz. In der Tür zum Hof stand der alte Dükopp, das Beil noch in der Hand, und schaute verwundert in das schreckensbleiche Gesicht des Verkaufsstellenleiters.

„Dort …“ Rudi Schröter zeigte durch die Kellertür. „Dort unten liegt ein Toter!“, stammelte er.

Draußen auf der Straße brannten schon die Laternen. Hauptmann Heinz Richter sah auf die Uhr. Ich muss Inge anrufen und ihr sagen, dass es noch eine Weile dauern wird, dachte er. Horst König könnte sich auch beeilen. Hoffentlich hat er den alten Herrn angetroffen.

Mit dem alten Herrn war Doktor Heimann gemeint, der frühere Arzt der Heinersholzer. Er wohnte jetzt in einem kleinen Häuschen am Rande der Kreisstadt. Unterleutnant König war hinausgefahren, um ihn zum Sektionssaal des Krankenhauses zu bringen.

Zwei Leichen auf einmal in einem Keller, das hat es im Kreis bestimmt noch nicht gegeben, sinnierte Hauptmann Richter und holte seine Tabakschachtel hervor. Während sich der Hauptmann in Tabaknebel einhüllte und wartete, ließ er die Geschehnisse des Tages noch einmal an sich vorüberziehen. Schon eine knappe halbe Stunde nach dem Anruf des Abschnittsbevollmächtigten war er mit Unterleutnant König, dem Arzt Doktor Krautner und dem Kriminaltechniker in Heinersholz eingetroffen. Mit Schröters und Dükopps Hilfe hatten sie die Fundstelle im Keller freigelegt. Dabei waren sie auf die Leichen zweier männlicher Personen gestoßen.

Nachdenklich betrachtete Hauptmann Richter jetzt die wenigen Habseligkeiten, die sie bei den Toten gefunden hatten. Aufgefallen war ihm, dass einer der beiden Toten weder Uhr noch Ehering noch Brieftasche, ja nicht einmal eine Erkennungsmarke bei sich getragen hatte, obwohl die Bekleidungsreste den Schluss zuließen, dass er Angehöriger der Hitlerwehrmacht gewesen war. Die Möglichkeit eines Raubmordes durfte also nicht ausgeschlossen werden. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass in der kleinen Uhrtasche am Hosenbund eine alte Goldmünze steckte. Andererseits sprach es gegen die Annahme eines Raubmordes, dass bei der zweiten Leiche alle Wertgegenstände, ja sogar die Überbleibsel einer Brieftasche mit zwar erheblich verrotteten, aber vom Kriminaltechniker durchaus noch identifizierbaren Ausweispapieren und alten Geldscheinen vorhanden waren. Bereits vor dem Obduktionsbefund stand fest, dass die beiden Männer durch Schüsse in den Hinterkopf — wahrscheinlich beide aus der gleichen Waffe — getötet worden waren.

Der achtunddreißigjährige mittelgroße Offizier mit den grauen Augen und dem braunen, vorzeitig schütter werdenden Haar war der Lösung des Rätsels noch keinen Schritt nähergekommen, als Unterleutnant König das Zimmer betrat. Gespannt schaute der Hauptmann seinem jüngeren Mitarbeiter entgegen. „Na?“, fragte er ungeduldig.

Der Unterleutnant warf einen Blick zu dem Tisch hin, wo in Zellophanbeuteln die Sachen lagen, die bei den Leichen gefunden worden waren. König nickte leicht. Die braune Sportmütze ins Genick schiebend, meldete er mehr burschikos als militärisch: „Sie werden staunen, aber wir wissen schon, wer die beiden sind, Meister! Der alte Doktor Heimann hat keine halbe Stunde dazu gebraucht … Und die Feststellung Doktor Krautners hat sich inzwischen auch bestätigt. In beiden Fällen Kopfschuss von hinten, Entfernung höchstens ein Meter, offenbar mit einer Pistole vom Kaliber 7,65. Doktor Krautner schickt morgen den genauen Befund. Hier sind die Kugeln. Wir haben sie in der Kellerwand entdeckt, eine Armlänge voneinander entfernt.“ Der Unterleutnant wickelte die beiden erbsengroßen Geschosse aus einem Stück Verbandstoff und legte sie auf die Schreibtischplatte.

Heinz Richter schaute kaum hin. „Wer ist es?“, drängte er.

„Dieser alte Dürrkopf, oder wie er heißt, hatte recht. Der mit dem Ring und der Uhr und den Papieren war Katzmann, der ehemalige Ortsbauernführer. Fünfzehn Jahre müssen die Leichen im Keller gelegen haben. Doktor Krautner meint, dass die Bodenbeschaffenheit einen schnelleren Verwesungsprozess verhindert hat.“

„Und der andere?“

„Da wurde es schon schwieriger. Aber Doktor Heimann nimmt mit ziemlicher Sicherheit an, dass es sich um einen gewissen Otto Specht handelt.“

„Auch ein Heinersholzer?“

„Nein, Doktor Heimann hatte früher seine Praxis nicht in Heinersholz, sondern im benachbarten Uckerbach, wo dieser Specht bis neunzehnhunderteinundvierzig Lehrer war. Er gehörte zu Doktor Heimanns Patienten.“

„Wusste der Doktor etwas von den Familienverhältnissen?“

König nickte. Er schlug sein Notizbuch auf. „Specht müsste heute etwa sechsundfünfzig Jahre alt sein. Seine Frau war bedeutend jünger als er. Doktor Heimann erinnert sich sehr genau, weil sich die Leute in Uckerbach lange ihre Mäuler über den Altersunterschied zerrissen haben. Die Frau des Specht hat neunzehnhundertsechsundvierzig wieder geheiratet, einen kriegsbeschädigten Rechtsanwalt aus Zittau.“

„Wieder geheiratet? Also war der Tod ihres Mannes amtlich bestätigt worden?“ Der Hauptmann runzelte die Brauen.“

Der zweite Krimi des heutigen Newsletters stammt von Wolfgang Schreyer, der ihn unter dem Titel „Unabwendbar“ erstmals 1988 ebenfalls im Verlag Das Neue Berlin in dessen DIE-Reihe (Delikte, Indizien, Ermittlungen) veröffentlichte. Das Buch entstand unter Mitarbeit von Ingrid Mittelstrass, seiner späteren zweiten Frau: In einem Dorf an der Ostsee wird innerhalb kurzer Zeit in Datschen wohlhabender Leute eingebrochen; kostbare Antiquitäten und technische Ausstattungen werden entwendet. Die Kriminalpolizei ahnt: Hier sind Kenner am Werk. Doch gemessen an Hauptmann Wendts früherer Tätigkeit scheint diese Einbruchsserie banal. Bis ein Mensch zu Tode kommt. Und – bis Wendt sich in die schöne und selbstbewusste Jenny verliebt. Für Hauptmann Wendt entsteht eine ungewöhnliche Situation: Seine Arbeit und seine Liebe beginnen einander zu zerstören. Zunächst aber begleiten wir den offenbar recht kunstverständigen Hauptmann am Beginn seiner Ermittlungen:

„Als Wendt das Tor im Schilfzaun öffnete, lag vor ihm ein ockerfarbenes Haus, mehr Landsitz als Datsche, weit zurückgesetzt vom Weg. Wuchtige Pfeiler trugen den Balkon, grob behauene Eichenstämme; das Rohrdach wölbte sich schützend über die Terrasse mit den Korbmöbeln im Jugendstil. Blumenstauden, Farnkraut, Blautannen und Wacholder säumten den Pfad, der vorm Haus zu einem Steingarten anstieg. Das Grundstück war doppelt so groß wie die übrigen, ein paradiesisch stiller Fleck. Hier konnte auch der Anspruchsvollste sich entspannen oder tätig sein, glücklich sein, falls er die Natur noch wahrnahm und genoss. Wie sollte jemand, dem dies zur Verfügung stand, sich über einen Polizisten ärgern, der so behutsam und pflichtgemäß verfuhr wie Nauschütz?

Professor Georg Rasmus war ein schlanker Mann von gut sechzig Jahren, mit vollem Haar, silbrig an den Schläfen, und wachen blauen Augen hinter einer randlosen Brille. Sekundenlang verwirrte Wendt sein Aufzug, er trug einen kimonoähnlichen Hausmantel aus schwarzer Seide, bedeckt mit weißen, rätselhaften Symbolen – Schriftzeichen vielleicht. Seine Haltung war vollendet, von ihm ging etwas aus, das an einen Zauberkünstler denken ließ, einen großen Illusionisten, der Menschen oder Dinge verschwinden lassen kann. Bestimmt konnte er mehr als das, auf seiner Berliner Bühne. Diesmal freilich war ihm selber etwas verschwunden, drei Statuetten, zwei seltene Bücher und ein Porzellanservice im Wert von fünfzehntausend Mark, wie in der Akte stand. Der Schaden wurde größer, die Täter langten von Mal zu Mal kräftiger hin, nach dem Gesetz der Serie.

Rasmus rief nach der Haushälterin, er lud gleich zum Tee ein: Jasmintee, Kirsch- oder Orangenblüten? Sein Ton war väterlich, ja so hypnotisch, dass es dem Hauptmann misslang, sich seiner Freundlichkeit zu entziehen. Rasmus stopfte sich die Pfeife mit einem Tabak, der nach reifen Pflaumen oder Feigen roch, und wies hinter sich in die Diele; sie ging am Kamin in den Wohnbereich über. „Wir haben nichts angerührt, ehe Ihr Kollege vom Kreisamt kam. Es lag uns fern, ihm die Arbeit zu erschweren. Er hat das ganze Haus abgesucht, leider ohne Resultat.“

„Sie merkten gleich, dass etwas fehlte?“

„Mir fiel nur das leere Kaminsims auf. Meine Frau Wagner entdeckte dann die Lücke im Geschirr.“

Wendt nippte von dem Tee, er schaute sich um. Zweifellos, hier passte alles zusammen, das Haus hatte Charakter. Gescheuerte Dielen aus prächtigem Holz, das an Schiffsplanken erinnerte, mit Läufern aus Schafwolle, auf denen man leicht rutschte. Ein L-förmiger Raum, kostbar und schlicht, durch sein Ausmaß bestechend. Solide Deckenbalken, Regalwände voller Bücher, geschnitzte Möbel, ein schmiedeeisernes Gitter als Raumteiler, Steh- und Wandlampen, alles sehr gediegen. Den Unterlagen nach war man mit einer Leiter (aus dem unverschlossenen Schuppen) über den Balkon gekommen, ohne verwertbare Spuren zu hinterlassen. Der Einbruch, vorgestern entdeckt, lag womöglich viele Wochen zurück; Rasmus hatte Indien besucht und dann mit seinem Ensemble in Schweden gastiert. Was sollte der Spurensicherung unter Hauptmann Drews denn entgangen sein? Unmöglich, zwei Tage später mehr zu finden als er.

„Da will man sich sammeln, auf ein neues Stück konzentrieren“, äußerte der Professor. „Und dann – ein Schlag ins Gesicht! Wo leben wir denn, in Chicago? So wird einem die Arbeit vergällt, da bleiben schon die simpelsten Einfälle weg.“

„Haben Sie selber irgendeinen Verdacht?“

„Da hat mir jemand eins auswischen wollen.“

„Sie meinen, es galt Ihnen ganz persönlich?“

„Ein paar Feinde hat schließlich jeder.“

„Könnten Sie das wohl präzisieren?“

„Ach, wissen Sie, in meiner Position… Je straffer man führt, je erfolgreicher man ist, desto ärger Missgunst und Neid. Vermutlich machen Sie sich keinen Begriff von dieser Seite des Kunstbetriebs. Niemand weiß, weshalb das so ist – nirgends nehmen Kränkung und Bosheit solche Formen an wie dort.“

Wendt schwieg, verblüfft von dieser Egozentrik. Bezog der Mann denn alles auf sich? War das der Preis von Glanz und Ruhm? Nicht einmal die Stille hier brachte ihm Frieden, Argwohn zehrte an ihm, wenn er den oder die Täter in seinem Umkreis suchte… Durch das Westfenster sah man eine Trauerweide, die gefiederten Zweige wiegten sich im Wind, ein Sinnbild der Wehmut, der Vergänglichkeit des Lebens. Am flüchtigsten schienen dem Hauptmann Träume von der Bedeutung und Unersetzlichkeit der eigenen Person zu sein. Aber vielleicht kam ein Kunstschaffender nicht ohne die aus.

Da hörte er Rasmus sagen: „Sie bezweifeln das? Der Text verrät es doch!“

„Welcher Text, Herr Professor?“

„Wie, den kennen Sie noch nicht, der fehlt in Ihren Papieren?“ Rasmus lächelte, als habe sich ihm der Verdacht bestätigt, dass die örtliche Polizei es an Präzision mangeln ließ, dass sie im Schlendrian versunken sei. „Wo das Meißner gewesen ist, lag die Visitenkarte eines Ratsmitglieds dieses Bezirkes. Auf der Rückseite stand in Druckbuchstaben, wie man sie im Papierwarenhandel kaufen und abreiben kann: Karl Moor lässt grüßen. Ein hübscher Fingerzeig, nicht wahr?“

Wirklich, diesen Text hatte bisher niemand erwähnt. „Sind ‚Die Räuber‘ denn in Ihrem Haus gelaufen?“

„Letzte Spielzeit erst, in meiner Inszenierung. Und zwar modern aufgefasst, was natürlich auf Widerspruch stieß…“ Rasmus verlor sich in Einzelheiten der Aufführung, bis Wendt ihm versicherte, selbstredend gehe er der Sache nach.

„Wo nehmen Sie den Faden auf?“

„Kaum bei Ihrem Publikum, es dürfte wohl zu zahlreich sein. Eher schon bei der Herkunft der Visitenkarte, einem möglichen Beweisstück.“

„Recht so“, sagt der Professor, als wäre Wendt sein Schüler.

„Haben Sie noch mehr Hinweise für mich?“´

Das dürfte noch ziemlich spannend werden, herauszufinden, wer denn nun wirklich hinter diesen Einbrüchen steckt. Zugleich erlaubt dieser Krimi von Wolfgang Schreyer fast wie nebenbei einen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR kurz vor der Wende. Aber auch die anderen vier Sonderangebote des heutigen Newsletters lohnen das Ansehen – ganz unabhängig davon, ob es in ihnen um eher ernste oder eher heitere Themen geht.

Viel Vergnügen beim Lesen, hoffen wir gemeinsam weiter auf einen schönen Herbst und bis demnächst.

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital wurde 1994 und damit vor nunmehr fast 25 Jahren gegründet und gibt neben E-Books (vorwiegend von ehemaligen DDR-Autoren) Kinderbücher, Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, derzeit fast 1.000 Titel (Stand Oktober 2019).

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